Lebensläufer

Album: Aus allen Wolken (1994)


Er lief und lief und kam nicht von der Stelle,
Solang er denken konnte, lief er schon.
Er schrie und schrie und hörte nicht die grelle,
Längst heis‘re Stimme, hörte keinen Ton.
Nur manchmal sah er in den schönsten Farben
Das Glück von Angesicht zu Angesicht.
Allein, er schämte sich für seine Narben,
Und dann wünschte er, er säh’ es nicht.

So lief er weiter, hatte längst vergessen,
Wohin er wollte, und woher er kam.
Er wusste nichts mehr, doch er wusste, wessen
Verklärtes Bild ihm bald den Atem nahm.
Er rang nach Luft – und doch: Er lief noch wilder,
Ihn freute jeder kurze, scheue Blick
Auf andere, auf graue, dunkle Bilder,
Die nicht so hießen wie sein Glück.

Dann, endlich, schwanden seine letzten Kräfte,
Er fiel zu Boden, das Gesicht im Dreck.
Ein Hund kam, schnupperte an ihm und kläffte
Und lief, als sich nichts regte, wieder weg.
So blieb er liegen, hatte aufgegeben,
Ein Jahr verging und danach noch ein Jahr.
In ihm erlosch ein ungelebtes Leben,
Und das gelebte schien ihm nicht mehr wahr.

Inzwischen hatte sich das Glück besonnen
Und folgte seiner hinterlass‘nen Spur.
Er glaubte fest, es sei schon längst zerronnen.
Als es dann vor ihm stand, da schwieg er nur.
Und doch: Es nannte ihn bei seinem Namen
Und zog ihn, bis er auf den Füßen stand.
Da fiel sein Weltbild aus dem Rahmen
Und fällt und fällt in ihre Hand.