The Homeless and the Hungry

Foto: Christoph Birken

Es ist schon dunkel, als wir das Deck des orangefarbenen Riesen betreten. Ich wollte die gut zwanzigminütige Fahrt mit der Fähre eigentlich erst am nächsten Tag machen, um den Blick auf Skyline und Freiheitsstatue bei dem wunderbar warmen  Herbstlicht zu genießen, in das die Stadt seit unserer Ankunft am Vortag gehüllt ist. Aber wie gut, dass ich auf meinen Sohn gehört habe, der die Staten Island Ferry noch am selben Abend nehmen will. Weil wir doch ohnehin schon in Lower Manhattan unterwegs sind.

Das Panorama der unzähligen erleuchteten Fenster, die über dem Whitehall Terminal wie ein Meer von Sternen funkeln, ist vom ersten Moment an faszinierend. Je weiter wir uns in der Upper New York Bay von Manhattan entfernen, desto vollständiger wird unsere Sicht auf die Skyline, die alles übertrifft, was man je an Bildern und Filmen davon gesehen hat. Ich packe meine Canon aus dem Rucksack und will gerade die erste Aufnahme machen, als hinter mir jemand „For the homeless and the hungry“ ruft. Ich fühle mich gestört. Wieder irgendein lästiger Geselle, der es auf das Geld von Touristen abgesehen hat. Ich drehe mich nicht nach ihm um und suche an meiner Kamera eine passendere Einstellung für die nicht ganz einfache Belichtungssituation.

Wann hat man je eine so überwältigende Kulisse gesehen? Ich mache ein paar Aufnahmen von meinem Sohn, er macht ein paar von mir. Immer deutlicher hebt sich jetzt die hell angestrahlte Freiheitsstatue vor dem dunklen Himmel ab. Vor einigen Jahren habe ich eine kleinere Kopie in Colmar, dem Geburtsort ihres Schöpfers Frédéric-Auguste Bartholdi, gesehen. Damals war ich schon ziemlich beeindruckt, aber das Original ist dann doch noch einmal etwas ganz anderes. Ich frage mich, was der Anblick dieser monumentalen Statue für die Menschen bedeutet haben mag, die nach wochenlanger Schiffsreise über den Atlantik, nach Erfahrungen von Verfolgung und Armut endlich in dem Land ankamen, in das sie all ihre Hoffnungen gesetzt hatten. Und auch heute, in dieser von Krieg und Katastrophen gebeutelten Welt, wirkt dieses Freiheitssymbol wie die Verheißung einer besseren, einer friedlichen Zeit. Ich rufe mir die Schlussverse des Sonetts von Emma Lazarus in Erinnerung, das im Sockel der Lady auf einer Bronzetafel verewigt ist: „Send these, the homeless, tempest-tossed to me, / I lift my lamp beside the golden door.“

Das goldene Tor. Mir ist, als hätten auch wir es durchschritten, mein Sohn und ich, mit dieser Reise, die schon so lange auf meinem Wunschzettel stand. – „For the homeless and the hungry“, höre ich die Stimme von vorhin wieder. Der Rufer ist ein Afroamerikaner mit Schiebermütze und Rucksack, vielleicht in meinem Alter. Auf dem grauen T-Shirt lese ich in großen Lettern das, was er ruft: „Free food for the homeless and the hungry“. Ich versuche, ihn zu ignorieren, und kontrolliere auf dem Kameradisplay meine bisherigen Fotos von der Statue of Liberty. Sie sind allesamt nicht ganz scharf, was vermutlich daran liegt, dass sich die Fähre für die langen Verschlusszeiten zu schnell fortbewegt. Ich bin unzufrieden und probiere, ob mit dem Handy vielleicht sogar schärfere Bilder gelingen. Naja. Auch nicht überzeugend.

Der Rufer ist schon fast durch die Tür am Ende des Decks verschwunden. Und als würde sich diese Tür für immer für mich verschließen, laufe ich ihm, einem plötzlichen Impuls folgend, nach und ziehe das Portemonnaie aus der Hosentasche. „Mister“, beeile ich mich und stecke einen Dollarschein in seine Sammelbüchse, als er sich umdreht und mich ansieht. „God bless you“, sagt er freundlich, bevor das nächste „For the homeless and the hungry“ nur noch wie ein fernes Echo klingt. Und dann glückt es mir doch noch: ein scharfes Bild von der Freiheitsstatue.

Frohe Weihnachten!

Mein Musiklehrer

Foto: Pixabay

An meiner Schule, dem Heilig-Geist-Gymnasium in Würselen, gab es nicht wenige Lehrerinnen und Lehrer, die man mit Fug und Recht als Originale bezeichnen kann. Dabei waren ihre Unterrichtsmethoden gar nicht sonderlich originell. Aus der Sicht heutiger Lehr-Lern-Forschung machten sie sogar so ziemlich alles falsch, was man falsch machen kann: Sie unterrichteten ausschließlich frontal, hörten sich am liebsten selbst reden und wechselten nie die Methode oder gar das Medium. Trotzdem konnte man zumindest bei einigen dieser mehr oder weniger verschrobenen Typen etwas lernen – vielleicht sogar mehr als bei manchem Virtuosen zeitgenössischen kompetenzorientierten Unterrichts.    

Einer, auf den das ohne jeden Zweifel zutrifft, war mein Musiklehrer. Wenn ich an ihn denke, sehe ich einen großgewachsenen grauhaarigen Mann mit einem freundlich-fordernden Gesichtsausdruck – einen Lehrer, der seinen Schülerinnen und Schülern viel zutraute, aber auch immer von ihnen erwartete, dass sie ihr Bestes gaben. Für mangelnden Ehrgeiz, Bequemlichkeit oder Lustlosigkeit hatte er kein Verständnis. Ich glaube, er verstand das als Verrat an seinem Fach, der Musik. Zwar unterrichtete er wie jeder Lehrer noch ein zweites Fach, aber das spielte für die Wahrnehmung seiner Person – und wohl auch für ihn selbst – eine derart untergeordnete Rolle, dass ich es hier besser gar nicht namentlich erwähne. Diese Farbe passt nicht ins Bild.

Was in diesem Fall auch nicht ins Bild passt, ist die übliche Klassifikation von Musik als Nebenfach. Nicht wenige Musikpädagoginnen und -pädagogen mögen es schwer haben, in den Augen von Schülerschaft und Kollegium als Autoritätspersonen gesehen zu werden, weil es in ihrem klassenarbeitslosen Fach vermeintlich nur ums Musikhören und ein bisschen Singen geht. Und wie zur Bestätigung solcher Vorurteile ist das Fach Musik oft auch das erste, das in der Stundentafel gekürzt wird, wenn es an einer Schule personell eng wird. Musik ist schön und gut, aber nicht unverzichtbar – so oder so ähnlich sehen es wohl allzu viele, die in Schulleitung und Bildungspolitik Verantwortung tragen und Entscheidungen treffen.

Solcherlei Image-Probleme hatte mein Musiklehrer nie. Im Gegenteil: Im Ranking der gefühlten Relevanz und Bedeutung war er eindeutig ganz vorne mit dabei. Spätestens beim obligatorischen Vorsingen für die Aufnahme in den Schulchor wurde jedem Fünftklässler klar, dass es dabei nicht um irgendeine Freizeitbeschäftigung, sondern um etwas überaus Wichtiges ging. Denn die alljährlichen Konzerte des Schulchores waren die unbestrittenen kulturellen Highlights eines jeden Schuljahres. Mein Lehrer war dabei nicht nur Chorleiter, sondern auch Organisator, PR-Agent, Moderator, Dirigent sowie – dank seines ausgezeichneten Bassbaritons – Solist. Und als wäre das nicht genug, trat er auch darstellerisch eindrucksvoll in Erscheinung. Mir ist er vor allem als Schulmeister in Georg Philipp Telemanns gleichnamiger Kantate in lebhafter Erinnerung geblieben, inklusive historisch perfekter Kostümierung von den Schnallenschuhen bis zur Puderperücke.

Zurück zum Vorsingen für den Schulchor, einer Art Casting-Show im Musikunterricht, lange bevor so etwas als Quotengarant für das Fernsehen entdeckt wurde. Jede und jeder aus unserer Klasse musste ein selbstgewähltes Lied zum Besten geben, von unserem Lehrer spontan auf dem Flügel begleitet. Wenn er sich danach auf seinem Klavierhocker umdrehte, sah man schon an seinem Gesichtsausdruck, ob die Kandidatin bzw. der Kandidat es in die nächste Runde geschafft hatte. Eine Art Augen-Buzzer, der eigentlich keiner weiteren Erklärungen bedurft hätte. Aber wenn er zufrieden war, gab es zusätzlich ein paar anerkennende Worte und – vor allem – die Zuweisung zu einer Stimme. Sopran oder Alt. Tenöre oder Bässe gab es in unserer Altersklasse naturgemäß ja noch nicht. Wenn er – was deutlich häufiger der Fall war – von den gesanglichen Qualitäten der Vorsingenden nicht überzeugt war, verzichtete er meist auf längere Ausführungen und ließ es bei der Bemerkung, es im nächsten Jahr noch einmal zu versuchen. Was so viel hieß wie: Geh‘ besser Fußball spielen. Und genau das taten die meisten auch viel lieber. Und so verwendeten manche beim Casting ihren gesamten Ehrgeiz darauf, ein erkennbar viel zu schwieriges Lied darzubieten und möglichst schief und heiser zu singen. Wieder andere verzichteten gleich ganz auf den Versuch, eine Melodie zu intonieren. Weil ich dagegen schon immer besser Töne als Tore treffen konnte, freute ich mich über die Aufnahme in den Chor. Sopran. Setzen.

Die Chorproben fanden ein- oder zweimal wöchentlich in der sechsten Stunde statt. So genau weiß ich das nicht mehr. Ich erinnere mich aber sehr gut an eine überaus konzentrierte Probenatmosphäre, die ich nachher in keinem anderen musikalischen Zusammenhang mehr in dieser Form erlebt habe. Wenn vom Schulhof allzu viel Geschrei in den alten Holzpavillon drang und unser Lehrer das Fenster ein bisschen zu beherzt aufriss, um die Störer zu ermahnen, konnte auch schon einmal eine Fensterscheibe zu Bruch gehen. „Schiev kapott“, meinte er einmal lapidar und setze die Probe scheinbar unbeeindruckt fort. Denn es gab viel zu tun und bestimmt sollte demnächst auch wieder eine vom Förderverein finanzierte Schallplatte produziert werden.

Disziplinierte Probenarbeit war angesichts des für Kinder anspruchsvollen Programms, das mit leichter Unterhaltung rein gar nichts zu tun hatte, in der Tat absolut notwendig. Giovanni Battista Pergolesis „Stabat mater“ gehörte genauso zum Repertoire wie Paul Hindemiths „Angst vorm Schwimmunterricht“. Mir hatten es besonders Madrigale und andere Vokalkompositionen aus Renaissance und Barock angetan, aber auch mehrstimmige deutsche Volks- und Kunstlieder. In Robert Schumanns „Im Schatten des Waldes“ hatte ich sogar ein kurzes Solo, in dem ich etwas von schwarzäugigen Mädchen sang, die den Tanz beginnen. Leider kannte ich solche Mädchen nicht, aber es klang irgendwie spannend. Und dass ich diese Passage übernehmen durfte, bedeutete mir mehr als jede gute Note in irgendeiner Klassenarbeit.

Im Musikunterricht ging es ähnlich engagiert und herausfordernd zur Sache. Nie vergessen werde ich die Beschäftigung mit unterschiedlichen Vertonungen und damit Interpretationen von Goethes „Erlkönig“. So ergreifend und schaurig wie in diesen Musikstunden habe ich die Ballade danach nie mehr wahrgenommen. Während wir im Deutschunterricht Alliterationen zählten, den Textsinn auf eine Art Fieberwahn des sterbenden Kindes reduzierten und das Erzählte damit rational erklärten, brachte unser Musiklehrer das Naturmagische und Unheimliche der Ballade voll zur Geltung. Natürlich ließ er nicht einfach eine Schallplatte laufen, sondern sang uns die Lieder selbst vor und begleitete sich dabei virtuos am Flügel. Dem Schlussvers von Carl Loewes Vertonung verlieh er eine dermaßen große Dramatik, dass es mir noch heute kalt den Rücken herunterläuft, wenn ich nur daran denke. „In seinen Armen das Kind war tot.“ Und unsere Klasse war für einen langen Moment ebenfalls vollkommen still und regungslos. Mehr Resonanz zwischen Schulstoff, Lehrperson und Schülern geht nicht.

Ein ähnlich intensives Resonanzerlebnis hatte ich einige Schuljahre später im Musikkurs der Oberstufe. Dieser Kurs lag nicht in den Händen meines Musiklehrers – um bei dieser Bezeichnung zu bleiben –, sondern wurde von einer Kollegin unterrichtet. In der Unterrichtsreihe ging es um Liederzyklen der Romantik. Ein besonderer Schwerpunkt lag dabei auf Franz Schuberts „Die schöne Müllerin“. Die theoretischen Überlegungen dazu und die Analysen einzelner Lieder waren zwar ganz interessant, aber nichts, was mich über den Unterricht hinaus beschäftigt hätte. Das änderte sich schlagartig, als unsere damals recht junge Lehrerin ihren erfahrenen Kollegen in eine Doppelstunde einlud und die beiden Schuberts kompletten Liederzyklus, also zwanzig Lieder, in unserem Kurs aufführten. Gemeinsam verwandelten sie den Musikraum in einen Konzertsaal. Und dabei legten sie sich so sehr ins Zeug, als würde das Ganze live im Fernsehen übertragen. Ich sehe noch heute die Anspannung im Gesicht meiner Musiklehrerin, deren Finger so über die Tasten flogen, dass wir das Rauschen des Bächleins hören konnten. Und mein Musiklehrer erschien uns plötzlich gar nicht mehr als der Lehrer mit Cordhose, der er war, sondern als großer Sänger und Künstler. Wahrscheinlich war er das im Grunde auch mindestens so sehr wie ein Lehrer mit Cordhose. Und ich glaube tatsächlich, dass die beiden mit ihrer Aufführung auf jeder Bühne hätten glänzen können. – „Herr Meister und Frau Meisterin.“ Das passte auch zu ihnen. Und wir bekamen eine Ahnung von der existentiellen Tiefe dieser Lieder. Die unglückliche und schließlich in den Tod führende Liebe des Müllerburschen zur unerreichbaren schönen Müllerin packte wohl nicht nur die unglücklich Verliebten unter uns so sehr, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören.

Mein Musiklehrer setzte auf die Begegnung mit Kunst, auf das musikalische Erlebnis. Und damit gelang es ihm, seine Schülerinnen und Schüler auch für musikhistorische Fragen oder die Bestimmung von Strukturen, Stil- oder Gattungsmerkmalen musikalischer Werke zu interessieren. Aber immer in dieser Reihenfolge, immer ausgehend von der musikalischen Wirkung. Er hätte nie eine Stunde damit begonnen, Arbeitsblätter zu verteilen, um dann am Stundenende die Ergebnisse zu besprechen. Jede unterrichtliche Beschäftigung ging von der Musik selbst aus und führte auch wieder zu dieser zurück. Dass er dabei selbst häufig und gern als Musiker in Erscheinung trat, könnte leicht als Eitelkeit missverstanden werden. Und die war ihm sicherlich auch nicht ganz fremd. Aber im Grunde zeugten diese „Auftritte“ von einer ungeheuren Wertschätzung seiner Schülerinnen und Schüler. Er wollte uns nicht nur etwas beibringen, sondern uns für die Musik begeistern.

Wer Begeisterung vermitteln will, muss selbst begeistert sein. Und sich auch auf seine Sache, auf sein Fach verstehen. Beides war bei meinem Musiklehrer definitiv der Fall. Auch wenn er vielleicht nicht der Typ Lehrer war, zu dem Schülerinnen und Schüler eine besonders enge persönliche Bindung entwickeln, haben nicht wenige von ihnen durch ihn die Liebe zur Musik entdeckt oder intensiviert. Und viele davon sind dieser Liebe in der einen oder – wie bei mir – anderen Form treu geblieben. Töne sind wie Farben und jeder malt damit ein anderes, sein eigenes Bild. Wenn es ein Lehrer schafft, solche Resonanzen zu erzeugen, die auch nach der Schulzeit weiterschwingen, dann muss es ein sehr guter Lehrer gewesen sein.

Vor einigen Wochen fiel mein Blick auf eine Traueranzeige in der Zeitung. Mein Musiklehrer ist im Alter von 85 Jahren verstorben.

Auftritt auf Burg Wilhelmstein

Foto: Julia Kaufmann (Pixabay)

Im Rahmen des Ehrenamtsabends der Stadt Würselen treten Christoph Birken & Begleiter am Freitag, dem 26. August, auf der Freilichtbühne Burg Wilhelmstein auf. In zwei Blöcken präsentieren wir Songs vom aktuellen Album „Endlich!“, die bisher noch nicht live zu hören waren, weil die CD-Veröffentlichung unglücklicherweise exakt mit dem Beginn der Corona-Pandemie zusammenfiel. Insofern ist der Abend auf Burg Wilhelmstein auch so etwas wie ein nachgeholtes Release-Konzert. Eine Premiere ist auch die Besetzung: Während mit Simon Kurtenbach (Piano, Akkordeon) ein langjähriger Mitstreiter dabei ist, greift mein Freund Michael Müsseler (Gitarre) zum ersten Mal bei einem Auftritt für mich in die Saiten. Außerdem wird uns meine Tochter Carlotta bei einigen Songs stimmlich unterstützen, was für mich natürlich auch sehr besonders ist. Wir würden uns freuen, wenn ihr uns die Ehre erweisen würdet!

Die Veranstaltung beginnt um 18:00 Uhr. Sie ist nicht nur für geladene Gäste, sondern für die Öffentlichkeit zugänglich. Allerdings muss man im Vorfeld – bei Interesse bitte so schnell wie möglich – Karten über die Website der Stadt Würselen bestellen:

https://wuerselen.de/ehrenamtsabend-2022/

Ich freue mich, euch im Publikum zu sehen!

So Quiet in Here

Zum Tod von Jörg Maidorn

Fotos: Grattan Healy, 1994

Mit großer Bestürzung habe ich von deinem Tod erfahren, lieber Jörg! Wir hatten uns – warum auch immer – zwar aus den Augen, nicht aber aus den Gedanken verloren. Dafür warst du in der hiesigen Musikszene auch viel zu präsent und bekannt. Und mit deiner Pink Noise Corporation warst du weit über Aachen hinaus gefragt, wenn es um höchste Ansprüche an Veranstaltungstechnik und Sound ging.  Deiner Firmenwebsite kann man entnehmen, mit wem du so alles zusammengearbeitet hast. Götz Alsmann, Max Raabe und viele andere Stars wussten offenbar, wem sie die Tontechnik anvertrauen konnten.

Auch wenn du schon damals, Mitte der Neunzigerjahre, mit deiner Firma durchstartetest, habe ich in dir immer den Gitarristen Jörg gesehen. Wir spielten beide in zu dieser Zeit in unserer Region beliebten Coverbands, du bei Dolce Vita, ich bei Da capo. Weil wir offenbar nicht ganz unähnliche Typen waren – eher klein, dunkle Haare, markante Brille –, kam es nicht selten zu Verwechslungen. Man wollte mich an Orten gesehen beziehungsweise gehört haben, an denen ich zur fraglichen Zeit definitiv nicht gewesen war. Und genauso ging es dir. „Ich war das nicht, aber ich weiß, wen du gesehen hast“, konnten wir schließlich ohne jede Überlegung aufklären. Ich fühlte mich dann immer ein bisschen geschmeichelt, denn an der Gitarre konnte ich dir nicht das Wasser reichen.

Als ich dich zum ersten Mal hörte, irgendwann nach Mitternacht bei einer Zeltveranstaltung, war ich hin und weg. Der da über die Tanzfläche lief und scheinbar ohne jede Mühe, die Gitarre hinterm Kopf, ein endloses Solo spielte und die Leute begeisterte, war ein Meister seines Fachs. Dabei schlug dein Herz eigentlich für den Jazz und für deine George-Benson-Gitarre mit ihrem wunderbar vollen, warmen Klang. Ich hätte dir stundenlang zuhören können, wenn du darauf improvisiertest, und wollte dich unbedingt für meine eigene Musik, meine eigene Band gewinnen.

Und das gelang schließlich auch, nicht zuletzt wegen deiner Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft: Irgendwann – es muss 1993 gewesen sein – stelltest du uns deine für unsere Verhältnisse unfassbar professionelle 8-Spur-Bandmaschine für Aufnahmen zur Verfügung und kümmertest dich um den Mix. Wenig später mischtest du dann auch als Gitarrist in unserer Band mit und hobst unsere Musik auf ein neues Niveau. Auch einen meiner Songtexte, „Lebensläufer“, hast du mit viel Gefühl für meine sprachlichen Bilder vertont.

Für den Aachen-Sampler „Tomorrow’s Finest II“ produziertest du eine Auswahl unserer Songs – nicht ohne zuvor die Räumlichkeiten deiner Firma eigens zu diesem Zweck in ein Studio mit Aufnahme- und Regieraum verwandelt zu haben. Wochenlang haben wir beide – mit Unterstützung von Harry, Torben und Bernd – dort aufgenommen und abgehört, verworfen, neu eingespielt, an den Arrangements gefeilt und an den Reglern gedreht. Und das zu jeder möglichen und unmöglichen Zeit. So lange jedenfalls, bis das Ergebnis für dich „amtlich“ war. Ich erinnere mich, dass wir den Chorgesang zu „Abend im Land“ tatsächlich nachts eingesungen haben. Auch Gastsängerin Tanja war bis in die frühen Morgenstunden mit von der Partie. Ein Kasten „Frisches Veltins“ stand auch immer parat.

Auch auf der Bühne warst du eine großartige Bereicherung für meine Songs. Ob wir mit kompletter Band den Jazz-Saal Houben rockten oder in kleinerer Akustik-Besetzung auftraten: Mit dir an der Gitarre konnten wir uns in die Lieder regelrecht fallen lassen. Ich habe es geliebt, mit dir aufzutreten. Genauso habe ich es genossen, mit dir über Gott und die Welt zu reden. Oft haben wir in deiner Wohnung mit dem riesigen schwarz-weißen Miles-Davis-Poster einfach auf dem Boden gesessen und deine CD-Sammlung durchgehört. Incognito, Young Disciples, The Brand New Heavies, Jamiroquai – aber auch Hubert von Goisern und ganz viel Van Morrison, vor allem „A Night in San Francisco“, das Doppel-Live-Album von 1994. „So Quiet in Here“, sang Van the Man. Unglaublich, wie der Stille in Musik verwandeln konnte – oder umgekehrt. This must be what it’s all about.

Und wir mochten Herman van Veen! Über seinen mit holländischem Akzent und ohne jede Ironie gesungenen Vers „Cola, Limo, Apfelsaft“ aus „Könntest du zaubern“ konntest du Tränen lachen. Er wurde für uns zu einem geflügelten Wort. Als wir uns Jahre später noch einmal trafen, erzähltest du mir, dass du Herman van Veen inzwischen persönlich kennengelernt und schon mehrere Veranstaltungen mit ihm gemacht hattest. Wahnsinn.

Über die gemeinsame Leidenschaft für die Musik waren wir längst Freunde geworden. Einmal fuhren wir mit dem Wohnmobil deines Bruders ans Meer. Die Idee dazu kam dir am Abend vorher im „Perplex“, der Kneipe, in der immer etwas los war, wenn sonst nichts los war. Und das war in unserer Stadt oft der Fall. Im Gepäck hatten wir Fahrräder, Romane, Fachzeitschriften und zwei Konzertgitarren. Du zeigtest mir für mich neue Skalen, Tonleitern, verschiebbare offene Akkorde und Fingerübungen, die ich noch heute zum Warmspielen mache. Nur die niederländische Polizei, die uns auf der Rückfahrt anhielt, schien nicht recht an unsere musikalische Mission glauben zu wollen, als sie unsere Gitarrenkoffer durchsuchte. Cola, Limo, Apfelsaft – sonst nichts. Du nahmst das mit dem für dich typischen Humor, eigentlich immer ein Lächeln in den Augen.

Je länger ich an diese Jahre Anfang der Neunzigerjahre zurückdenke, desto mehr gemeinsame Erlebnisse, Gespräche und Situationen tauchen aus meiner Erinnerung auf. Auch etwas Handfestes erinnert mich an dich: meine Hamer Centaura, eine bei Sammlern inzwischen sehr gefragte und teuer gehandelte E-Gitarre. Eigentlich war ich drauf und dran, sie zu verkaufen, zumal ich fast nur noch akustische Gitarre spiele. Ich habe es mir aber anders überlegt. Denn du hast sie für mich ausgesucht – in einem Musikladen in Köln. Unzählige Gitarren hast du damals gecheckt, um die für mich passende zu finden. Und so kann ich meiner Hamer vielleicht hin und wieder noch ein paar interessante Akkorde entlocken, die dir gefallen hätten. Sam Cooke‘s saying: Let the good times roll. Danke für alles, Jörg. Wir sehen uns.

Lebensläufer (Text: Christoph Birken, Musik: Jörg Maidorn)

Begegnung mit Arno Geiger in Aachen

Foto: Martin Stangl

Zufall ist das, was einem zufällt, heißt es. Und es scheint fast so, dass mir Begegnungen mit bedeutenden Schriftstellern aus dem österreichischen Vorarlberg zufallen. Als Student durfte ich den damals international gefeierten Robert Schneider kennenlernen, dessen 1992 erschienener Debütroman mich so beeindruckt hatte, dass ich dessen musikalische Erzählstruktur in meiner Examensarbeit im Fach Germanistik untersucht habe. Bei den Recherchen zu meiner Arbeit Literatur als Komposition in der Vorarlberger Landesbibliothek in Bregenz traf ich den seinerzeit von mir verehrten Autor höchstpersönlich. Der wiederum recherchierte dort für seinen neuen Roman Die Luftgängerin. Das kurze Gespräch auf dem Bibliotheksflur setzten wir in einem Bregenzer Café und zwei Tage darauf bei ihm zu Hause im Bergdorf Meschach fort. Einen ganzen Nachmittag konnte ich mit ihm über seinen Welterfolg Schlafes Bruder und über meine Überlegungen dazu reden, über seine und meine Lieblingsbücher und auch über musikalische Interessen. Überhaupt war er ganz und gar nicht der schwierige Typ, als der er in den Medien dargestellt wurde. Noch heute blicke ich ein wenig ungläubig auf diese Tage im Dezember 1996 zurück.

Als ich meine Staatsarbeit in der Vorarlberger Landesbibliothek vorbereitete, wohnte ich bei meinen Verwandten in Wolfurt, einem kleinen Ort zwischen Bregenz und Dornbirn. Damals konnte ich noch nicht wissen, dass im Haus gegenüber ein Autor aufgewachsen war, dessen Rang innerhalb der deutschsprachigen Literatur – zumindest nach den Maßstäben der Literaturkritik – einmal sogar noch über dem Robert Schneiders liegen würde. Dabei war Arno Geiger für mich durchaus kein Unbekannter: Zum einen war sein älterer Bruder Peter schon damals mit meiner Cousine Ursula verheiratet, zum anderen hatte ich als Kind während unserer Familienurlaube in Wolfurt ganz sicher mit ihm gespielt. Denn auf der Wiese neben dem Haus meiner Verwandten waren so gut wie immer auch die Geiger-Kinder, was neben meinen Erinnerungen auch Fotos aus dieser Zeit bezeugen. Der kleine Arno war genau in meinem Alter. Auf einem dieser Bilder steht mein Vater, offenbar Lehrer durch und durch, an einer Klapp-Kreidetafel im Garten und schreibt die Namen der um ihn versammelten Kinder – darunter auch die Geigers – darauf. Und als sei das noch nicht kurios genug, trägt er dabei auch noch Anzughose und weißes Hemd. Im Hochsommer wohlgemerkt.

Auch Arno Geiger erinnert sich an diese Sommer mit den Kindern der deutschen Verwandtschaft seiner Nachbarn. Vor gut zwei Wochen hatte ich die Gelegenheit, ihn in Aachen wiederzusehen. Anlass dieses Treffens war die Veranstaltung „Lehrerausbildung trifft Literatur“, die ich für die Deutsch-Referendarinnen und -Referendare der Seminarstandorte Jülich und Aachen organisiert habe. Die einmalige Chance, den Autor eines in Nordrhein-Westfalen abiturrelevanten Romans einzuladen und ihn mit angehenden Lehrerinnen und Lehrern ins Gespräch zu bringen, konnte ich mir im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit als Fachleiter für Deutsch nicht entgehen lassen. Zwar war die Hoffnung groß, dass ich ihn für diese Idee gewinnen könnte, doch die Freude darüber, dass ihm das Veranstaltungskonzept tatsächlich gut gefiel und er meine Einladung annahm, war noch wesentlich größer. Beim Überbringer so guter Nachrichten – er meinte die Aufnahme von Unter der Drachenwand in die Obligatorik für den Leistungskurs Deutsch in NRW – revanchiere er sich selbstverständlich mit ebenfalls guten Nachrichten, schrieb er mir damals.

Etwa ein Jahr lang habe ich diesen Abend organisatorisch und inhaltlich vorbereitet, nachdem ich Arno Geigers Zusage hatte. Natürlich habe ich auch sämtliche verfügbaren Interviews und Rezensionen zur Drachenwand studiert und – nicht zuletzt – den Roman selbst sowie andere Teile des mittlerweile umfangreichen Gesamtwerks wieder und wieder gelesen. Das alles in der Überzeugung, dass sich der Aufwand mehr als nur lohnen würde. – Und genauso war es. Arno Geiger war ein wunderbarer Gesprächspartner, der ebenso feinsinnig wie humorvoll und klug über seine eigene Schulzeit, seinen Weg zum Schreiben und über seinen Roman Unter der Drachenwand erzählte. Zu hören, wie er ausgewählte Textpassagen daraus selbst las und den erzählenden Figuren seine Stimme lieh, war nicht weniger faszinierend. Die einfühlsamen Saxophon-Improvisationen meines Freundes Harald Claßen trugen ein Übriges zur intensiven Wirkung der verschiedenen Leseblöcke bei. Arno Geiger zeigte sich von Haralds Spiel hinterher so angetan, dass er sich scherzhaft fragte, warum er den Brasilianer, die wohl wichtigste Nebenfigur des Romans, eigentlich Gitarrenmusik von Villa-Lobos hören lasse. Von Letzterem gebe es nämlich auch Kompositionen für Sopran-Saxophon. Wenn das kein Kompliment ist! – Komplimente haben auch Hicret Aslan, Pascal Engels und mein Kollege Dr. Peter Peters verdient, die gemeinsam mit mir eine der Gesprächsrunden moderiert haben. Ich bin sicher, nicht nur für uns Beteiligte auf der Bühne, sondern auch für die Zuhörerinnen und Zuhörer war der Abend überaus inspirierend und ein ganz besonderes kulturelles Highlight, das noch lange nachklingen wird.

Nicht weniger spannend als die Gespräche vor Publikum war für mich der private Austausch mit Arno Geiger vor und besonders nach der Veranstaltung. Weil wir wegen der heiklen Corona-Situation lieber kein Restaurant mit vielen Menschen auf engem Raum betreten wollten, saßen wir noch eine Weile in der Lobby des Hotels. – „Ich wollte immer Schriftsteller werden“, meinte er, als wir uns über unsere jeweilige Studienzeit und damalige berufliche Pläne unterhielten. Als ich am späteren Abend durch das nasskalte Novemberwetter – vorbei am Aachener Weihnachtsmarkt – zum Auto zurückging, musste ich noch lange über diesen einfachen Satz nachdenken. Vor allem über den Nachdruck, mit dem er ihn in seinem vorarlbergischen Akzent gesprochen hatte.

Robert Schneider wollte nach eigenem Bekunden immer Musiker werden. Literatur als Komposition. Vielleicht ist das der Grund, warum er schon lange keinen Roman mehr veröffentlicht und sich schon vor vielen Jahren weitgehend aus der literarischen Öffentlichkeit zurückgezogen hat. Bei Arno Geiger – da bin ich ganz sicher – steht das nicht zu befürchten. Er macht, was er am meisten liebt. Literatur als Literatur.

Berufswunsch Sängerin

Was wollte ich nicht alles werden, als ich klein war! Mein erster Berufswunsch war Müllmann oder – wie man heute korrekt sagen sollte – Fachkraft für Kreislauf- und Abfallwirtschaft. Diese Bezeichnung gab es Anfang der Siebzigerjahre aber noch nicht. Und sie hätte mir damals wohl auch weit weniger imponiert, als ich aus dem Fenster unserer Mietwohnung im ersten Stock fasziniert beobachtete, wie die Männer in orangefarbenen Latzhosen vom Mülltransporter absprangen, die runden Blechtonnen in den Hecklader beförderten und sich anschließend wieder auf die kleinen Trittflächen schwangen, um zum nächsten Haus weiterzufahren. Überhaupt war das der entscheidende Moment: dieses lässige Aufspringen und Weiterfahren. Später gab es noch andere Berufswünsche: Höhlenforscher, Privatdetektiv, Formel-1-Fahrer oder Journalist. Lehrer war nie dabei. Das war ja schon mein Vater. Trotzdem habe ich heute das Gefühl, für mich das Richtige gefunden zu haben: Sprache, Literatur, Beziehungen – berufswunschlos glücklich.

Unsere Tochter will Sängerin werden. Und das nicht erst seit gestern; sie sagt das nun schon seit Jahren auf die beliebte Frage, was sie später einmal werden wolle. Popsängerin – ein Kindheitstraum, der sich nahtlos einreiht in die Liste der Traumberufe: Detektiv, Rennfahrer, Popsängerin. Aber es gibt da einen entscheidenden Unterschied: Während ich nie eine Höhle erforscht oder einen Rennwagen gefahren habe, macht Carlotta die ersten konkreten Schritte auf dem Weg zu ihrem Ziel. Keine Frage, dass ich sie dabei unterstütze: Gleich zweimal sind wir in den letzten Wochen gemeinsam vor größerem Publikum aufgetreten: beim Ehrenamtsabend der Stadt Würselen auf Burg Wilhelmstein und beim Musikabend des St. Ursula-Gymnasiums in Aachen.

Auf der beeindruckenden Freilichtbühne der Burg haben wir – gemeinsam mit den Kindern des städtischen Familienzentrums „Lebens-Spiel-Raum“ – meinen Song „Sonne, Frosch, Marienkäfer“ aufgeführt. Dass diese inzwischen dreizehn Jahre alte Kindergartenhymne von den Kleinen und ganz Kleinen immer noch mit leuchtenden Augen gesungen wird und für gute Laune, Identifikation und Zusammenhalt sorgt, freut mich sehr. Daher lasse ich mich auch nicht lange bitten, wenn das Lied wieder einmal irgendwo aufgeführt werden soll. Wenn dann noch meine Tochter mitmacht und sogar eine Strophe solo singt, ist das natürlich besonders schön. Sich das vor mehreren Hundert Zuhörern zu trauen, ist für eine Dreizehnjährige schon allerhand, finde ich. Wer ein Ziel hat, muss die Gelegenheiten, die sich bieten, nutzen. Aufspringen und weiterfahren.

Beim gut besuchten Musikabend der Schule haben wir zwei Popsongs gecovert, „Price Tag“ von Jessie J und „Bye Bye“ von Sarah Connor. Vor dem Auftritt war die Nervosität groß, zumal Carlottas Oma ebenfalls im Publikum saß. Da galt es alles zu geben, denn die Oma hat selbst ihr Leben lang gesungen; kein falscher Ton entgeht ihr. Die Oma, meine Mutter, wollte ebenfalls Sängerin werden, als sie jung war. Neben der Leidenschaft für das Singen hatte sie wohl auch das nötige Talent dazu. Ihrem Gesangslehrer, der das erkannt hatte, war es gelungen, sie zu einem Vorsingen an der Kölner Musikhochschule anzumelden. Meine Mutter nutzte diese Chance und überzeugte das Auswahlgremium: Sie bestand die Aufnahmeprüfung. Aber weil sie als älteste Tochter einer großen Familie Verantwortung für die jüngeren Geschwister übernehmen musste, legten die Eltern ihr Veto ein. Aus der Traum.

Oder doch nicht? Meine Mutter hat die Leidenschaft für das Singen – und ihre Sopranstimme – bis heute nicht verloren. Sie war immer eine Sängerin und ist es geblieben. Sie musste es nicht erst werden oder zum Beruf machen. Entscheidend ist, was man tut, wer man ist. Insofern ist Carlotta schon jetzt eine Sängerin. Und ich bin glücklich, mit ihr auftreten zu können, mich dabei selbst im Hintergrund zu halten und ganz auf das Gitarrenspiel zu konzentrieren. Eine neue Rolle für mich, die ich gerne annehme und ausbaue, zum Beispiel durch Produzieren und Veröffentlichen weiterer Akustik-Coverversionen auf unserem gemeinsamen YouTube-Kanal cbCOVER.

Ein Ziel vor Augen zu haben, ist wichtig. Aber mehr als große Sprünge, die auch misslingen oder entmutigen können, zählen oft kleine Schritte. Hier ein Auftritt in der Schule, da eine kleine Aufführung im Freundeskreis. „Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken“, sagt Beppo Straßenkehrer, ein literarischer Verwandter der Fachkräfte für Kreislauf- und Abfallwirtschaft, in Michael Endes „Momo“. „Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Herzlichen Glückwunsch, Harald!

Foto: Michael Reißner (1994)

Was wären meine Lieder ohne die Kunst und Könnerschaft meines Freundes Harald, der seit „Innenansichten“ (1991) auf jedem meiner Alben mitgespielt und ihren Sound maßgeblich mitgeprägt hat! Und dann sind da natürlich die unzähligen Auftritte, die wir gemeinsam absolviert haben – ob mit eigenen oder mit nachgespielten Songs. Es gab Jahre, da waren wir an fast jedem Wochenende musikalisch unterwegs: mit der Coverband häufig in Festzelten und Mehrzweckhallen, zu zweit oft auch in schummrig-verqualmten Wirtschaften oder – wenn irgendwo Hochzeit gefeiert wurde – in schön dekorierten Sälen von Schlössern oder Burgen. Nicht selten wurden wir als Duo auch für fünfzigste Geburtstage gebucht. Manchmal passierte es dann, dass stundenlang niemand Notiz von uns nahm und wir eher für uns spielten, bis – für uns völlig unerklärlich – gegen Mitternacht plötzlich eine geradezu ausgelassene Stimmung ausbrach. „Ihr seid spitze, Jungs“, hieß es dann und wir hingen gegen einen saftigen Aufpreis gerne noch ein oder zwei Stündchen dran, bevor wir unser Zeug packten und auf dem Rückweg noch bei irgendeiner Frittenbude Station machten, die noch geöffnet hatte. Eine Currywurst ging immer.

Diese Leute bei fünfzigsten Geburtstagen waren seltsam. Dass wir selbst mal in dieses Alter kommen könnten, hätten wir für eine gemeine Unterstellung gehalten. Da ist es nur konsequent, dass wir heute gerne glauben, ganz anders zu sein: irgendwie jünger, lässiger, nicht so spießig. Also genau das, was die Gäste damals vermutlich auch von sich dachten, als sie gegen Mitternacht die Tanzfläche stürmten. Aber vielleicht haben wir mit unserer Leidenschaft fürs Musikmachen ja wirklich etwas gefunden, das uns vor einem Abgleiten in Trott und Routine bewahrt. Eine Art Elixier, das man regelmäßig zu sich nehmen muss, damit es seine Wirkung nicht verliert. Als Profimusiker muss Harald – zumindest in coronafreien Zeiten – vielleicht eher schon aufpassen, dass er dieses Elixier nicht überdosiert. Seit zwanzig Jahren tourt er mit dem Kabarettisten Jürgen Beckers durch die Republik und hat die Kneipen unserer Anfangsjahre längst gegen die größten Hallen und Arenen unseres Bundeslandes eingetauscht. Wenn wir uns länger nicht gesehen haben, taucht sein Gesicht „über kurz oder lang“ im Fernsehen auf. Wiedersehen macht Freude.

Aber zu meinem großen Glück nimmt Harald sich auch immer wieder Zeit für mich und meine Lieder. Schon beim Schreiben eines neuen Songs höre ich sein Spiel auf Klarinette, Saxophon, Akkordeon oder Klavier. Und dann weiß ich, dass es gut wird. Und zwar immer noch besser als in meiner Vorstellung, weil Harald ein untrügliches Gespür für die richtigen Melodien und Harmonien hat und weil er seine Ideen spieltechnisch mit unglaublicher Leichtigkeit umsetzen kann. Egal auf welchem Instrument. Ich bin dankbar, einen solchen Freund zu haben und hoffe, noch viele Lieder mit ihm arrangieren, aufnehmen und aufführen zu können. Dankbar für die Freunde sein!

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, lieber Harry!

Dankbar sein (Version 2005)

Rosenmontag mit „Aix-la-la-Chapelle” – Neues Video bei YouTube

Vor ein paar Tagen las ich in der Zeitung, dass mit der neu gegründeten Formation „Deschawü“ nach „Tästbild“ eine weitere Aachener Karnevalsband mein „Aix-la-la-Chapelle“ in ihr Programm aufgenommen hat. Das ist natürlich toll, weil der Chartbreaker-Gewinnersong von 2005/2006 auf diese Weise in der Region und im Aachener Karneval auch auf den Bühnen präsent bleibt. Andererseits dachte ich mir, ich sollte vielleicht noch einmal an das Original erinnern. Im Unterschied zu den inzwischen auf diversen CDs verbreiteten, textlich gekürzten Cover-Versionen hat das originale „Aix-la-la-Chapelle“ nämlich nicht drei, sondern vier Strophen. Und drunter wird man dem „Öcher Flair“ auch nicht gerecht!

Wie gut, dass ich noch einiges an Videomaterial von der „Remake-Aufnahmesession“ in Simons Kölner Studio „Tonbauhütte“ auf der Festplatte hatte. Constantin hat sich der eher beiläufig entstandenen Videoschnipsel angenommen und ein – wie ich finde – sehr schönes Musikvideo daraus geschnitten. Und was könnte ein besserer Tag zur Veröffentlichung sein als der heutige Rosenmontag? Wenn schon auf den Straßen nichts los ist, weil keine Umzüge gehen, will ich wenigstens dazu beitragen, fröhliche Stimmung in eure Wohnzimmer zu bringen. Klickt mal rein, rockt den Lockdown, bleibt gesund und trinkt auf Aix!

Mehr zu Aix-la-la-Chapelle

Die Nacht kann kommen

Foto: Felix Petersen

Ganz am Rande des Weihnachtsmarktes unserer Pfarre, da wo keine Buden mehr stehen und schon der Parkplatz beginnt, dreht sich ein kleines nostalgisches Karussell. Eine ganze Welt ist da unterwegs auf ihrer Umlaufbahn unter einem rot-gelb-gestreiften Zeltdach. Um eine Mitte mit Märchenmotiven kreisen Pferde und Schwäne, ein Feuerwehrauto und ein Bus, Schlitten aus einer anderen Zeit und Gondeln, die sich um ihre eigene Achse drehen. Ein Ort wie geschaffen, die Welt probeweise zu erfahren.

Als unsere Kinder noch klein waren, wurden sie von dieser Miniaturwelt magisch angezogen. Je dunkler und kälter es wurde, desto heller und wärmer leuchtete der rotierende Planet. Und wie alle anderen Eltern gaben wir diesem Sog gerne nach, stellten uns geduldig ins Gedränge, kauften Fahrschein um Fahrschein, setzten die Kinder in ein gerade freigewordenes Gefährt und sahen ihnen in einer Mischung aus Sorge, Stolz und Sentimentalität zu, wie sie ihre Runden drehten. Wenn sie aus der Schattenseite wieder ins Licht kamen und sich unsere Blicke für einen Moment trafen, war das jedes Mal wie eine gegenseitige Rückversicherung, ein Zuspruch: Du bist da. Wir sind da. Alles ist gut. Die Nacht kann kommen, denn es wird wieder Tag.

Das Tempo des Karussells blieb immer gleich. Aber mit den Jahren änderte sich die Haltung seiner Mitfahrer. Anfangs hoben wir kleine Abenteurer, die mindestens so viel Angst wie Mut hatten, in den Sattel. Nach jeder bestandenen Runde wuchs das Selbstvertrauen genauso wie die Vorfreude auf die nächste Fahrt. Später wurde das Karussellfahren das reinste Vergnügen, ein atemloses blindes Spiel, und wir warteten gefühlte Ewigkeiten mit halb erfrorenen Füßen darauf, dass der letzte Euro der Großeltern in Billetts investiert war. Zuletzt, als unser Sohn schon lange nicht mehr mitfuhr, wurden die Runden auch von unserer Tochter mit einer ironischen Distanz absolviert: Ich fahre hier zwar mit, habe das aber eigentlich nicht mehr nötig.

Unsere Kinder brauchen die kreisende Als-ob-Welt nicht mehr. So gesehen konsequent, dass es in diesem Jahr keine Karussellfahrt gibt. Der Platz vor der Kirche bleibt leer. Jüngere Kinder werden das Karussell vermissen – wie wir die Begegnungen auf dem Weihnachtsmarkt vermissen. Begegnungen und Nähe überhaupt. Das Virus hat die Welt vorerst angehalten und keiner weiß, wann die nächste Fahrt beginnt. Uns bleibt nichts, als auf eine bessere Zeit zu warten und uns an den Zuspruch zu erinnern, der uns vom Rand her gegeben ist: Du bist da. Wir sind da. Alles ist gut. Die Nacht kann kommen, denn es wird wieder Tag.  

Frohe Weihnachten!

Alles fließt – Gedanken zum neuen BAP-Album

Foto: Pixabay

Das neue BAP-Album „Alles fließt“ endet mit einem von Heinrich Böll selbst gelesenen Ausschnitt aus dessen „Ansichten eines Clowns“. Allein schon deshalb wäre diese Platte für mich etwas Besonderes. Denn dieser Roman war das allererste Buch, das ich mir in der Buchhandlung unserer Stadt von meinem Taschengeld selbst gekauft habe. Auf Böll war ich aufmerksam geworden, weil uns ein Lehrer meiner Schule in einer Vertretungsstunde die Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ vorgelesen und anschließend mit uns darüber gesprochen hatte. Dass diese improvisierte Stunde für mindestens einen der dreißig Schüler dieser sechsten Klasse eine der prägendsten der gesamten Schulzeit sein sollte, hätte sich der Kollege an diesem Vormittag wohl kaum träumen lassen. Aber dieser Böll hatte mich mit seiner Geschichte gepackt. Und der Lehrer, der unsere Klasse nicht kannte und den wir nicht kannten, hatte mich wohl auch mit seiner eigenen Begeisterung für den Text gepackt. Derart angefixt ging ich also in die Stadt, um mir von diesem Böll ein Buch zu besorgen. Es wundert mich heute nicht, dass meine Wahl auf das Buch fiel, auf dessen Cover ein Typ mit Gitarre zu sehen ist, auf einer Treppe sitzend, den Kopf auf die Schulter gelegt.

Unterlegt ist die kurze Textpassage aus dem „Clown“ mit rauschenden Wellen und schreienden Möwen. Und erinnert damit – ob gewollt oder nicht – an das wunderschöne „Fuhl am Strand“ vom 81er Album, mit dem meine Liebe zu BAP ihren Anfang nahm. „Südstadt, verzäll nix“, „Jupp“, „Jraaduss“ – wie oft habe ich die „Für usszeschnigge“ auf meinem Bruns-Plattenspieler gewendet und diese Lieder gehört und verinnerlicht. Und natürlich „Verdamp lang her“, das ich selbst unzählige Male mit meiner Coverband auf Volks-, Betriebs- und Stadtfesten zwischen Aachen und Bonn gesungen habe. Wenn man so will, als Niedecken und Major in Personalunion. Und wenn das feiernde Bierzelt den Gesang exakt wie auf dem genialen Live-Album „Bess demnähx“ (1982) übernahm, fühlten wir uns ein bisschen wie BAP höchstpersönlich, obwohl wir uns doch nur im Glanz dieser Hymne, die so gar nicht zum Mitgrölen passen will, sonnen durften.

BAP haben in ihrer inzwischen vierzigjährigen Karriere immer wieder herausragende Alben vorgelegt. „Zwesche Salzjebäck un Bier“ (1984), „Amerika“ (1996) oder „Radio Pandora“ (2008) gehören zu den besten deutschsprachigen Alben, die in ihrem jeweiligen Jahrzehnt erschienen sind. Aber „Für usszeschnigge“ wird für mich immer einen besonderen Stellenwert haben, weil mir diese Platte zu einer Zeit begegnet ist, als Musik immer mehr war als Musik: Orientierung, Inspiration, Trost, Ansporn, Identifikation, Religion. Ähnlich wie Bölls „Ansichten“ haben die Songs von BAP eine ungeheure Wirkung auf mich ausgeübt. Ich habe sie nicht nur gehört und nachzuspielen versucht, sondern sie mir in gewisser Weise anverwandelt. Noch heute könnte ich jeden Song der „Für usszeschnigge“ in jeder Lebenslage zu jeder Tages- und Nachtzeit ohne jeden Texthänger singen. Von meinen eigenen Liedern kann ich das leider nicht behaupten.

Jedes neue BAP-Album trifft bei mir daher auf einen mit vielen Erinnerungen, Gefühlen, Gedanken und Melodien ausgestatteten Resonanzraum, bringt Vertrautes zum Klingen und fügt Neues hinzu. Schon beim ersten Hören von „Alles fließt“ wurde ich in diesen Resonanzraum hineingezogen und konnte dieses spezielle „BAP-Gefühl“, das mich als Jugendlicher so geprägt hat, wieder spüren. Und zwar intensiver als bei den ebenfalls bemerkenswerten Vorgängeralben „Halv su wild“ (2011) und „Lebenslänglich“ (2016). Erheblichen Anteil an der Stimmigkeit und Authentizität der neuen Platte hat sicherlich Gitarrist und Produzent Ulrich Rode, der für dreizehn der vierzehn Songs die Musik geschrieben oder zumindest daran mitgeschrieben hat. In Rodes BluHouse-Studio in Hamburg, das er gemeinsam mit seiner schon seit Jahren mit BAP tourenden Frau, der Multiinstrumentalistin Anne de Wolff, betreibt, entstehen etliche Produktionen, die kommerziell erfolgreich sind und gleichzeitig künstlerisch überzeugen. Sowohl als Gitarrist als auch als Produzent und Songschreiber stellt Rode sein Können ganz in den Dienst der Musik des jeweiligen Künstlers. Ein besonderes Einfühlungsvermögen scheint er aber für die Songs von BAP zu besitzen: Seine Kompositionen und Arrangements sind wie maßgeschneidert für Niedeckens Texte, transportieren deren leise Emotionalität genauso wie deren lautes Engagement. Seit dem Ausstieg von Klaus „Major“ Heuser hat wohl keiner von Niedeckens Mitstreitern mehr so kongenial an der Entstehung neuer BAP-Songs mitgewirkt.

Und es sind ein paar wirklich großartige Nummern auf „Alles fließt“. Absolut herausragend – und das nicht nur im Rahmen des Albums – ist das bereits im Mai, also vier Monate vor dem Albumrelease als Video veröffentlichte „Ruhe vorm Sturm“, das nicht zufällig an einen der wohl besten und wichtigsten BAP-Songs überhaupt erinnert, nämlich an „Kristallnaach“ vom 82er Album „Vun drinne noh drusse“. „In der Ruhe vorm Sturm, wat es dat“, fragte Niedecken damals und malte ein erschreckendes Bild „zweschen Breughel un Bosch“ von einer Gesellschaft, die nur auf den richtigen Moment oder Verführer wartet, um ihrem aufgestauten Hass auf „alles, wat anders ess“ freien Lauf zu lassen. Heute liest sich dieser Text, der in meinem Jugendzimmer neben dem Schreibtisch an der Wand hing, wie eine Vorwegnahme der Fernsehbilder von Pegida-Demonstrationen oder anderen widerlichen rechten Kundgebungen. Insofern ist es nicht nur konsequent und richtig, sondern vielleicht auch notwendig, dass Niedecken sein düsteres Kristallnaach-Szenario in eine Gegenwart überträgt und fortschreibt, in der die Zeit der „janz klammheimlich“ getroffenen Vorbereitungen schon vorbei und der Zeitgeist weltweit längst „zum Monster mutiert“ ist – auch durch die Hilfe digitaler Medien: „Fake-News, jezielt ennjesetz, Algorithme, Twitter, alternative Facts“.  Dass die letzte Strophe mit den Worten „die Luft rüsch versängk“ endet, ist sicherlich kein Zufall, sondern eine motivische Wiederaufnahme des Refrains „Et rüsch noh Kristallnaach.“ Mit dem danach eruptiv einsetzenden Gitarrensolo, das wie der Blitz in den Song einschlägt, ist es dann endgültig vorbei mit der Ruhe und der Sturm bricht sich Bahn. Für mich einer der besten musikalischen Momente des Albums. Wann hat ein Sechsachteltakt jemals so gerockt?

Richtig nach vorne gehen auch „Jeisterfahrer“, „Volle Kraft voraus“ und „Jenau jesaat: Op Odyssee“ – Songs, die vor allem volle Kraft ins Ohr gehen und sich dort sofort festsetzen. Klangästhetisch setzen sie etwa da an, wo man mit „Pik Sibbe“ (1993) aufgehört hatte: bei mittenbetontem analog-erdigem Sound mit sanfter, warmer Verzerrung. Auch das Mastering ist vom heute üblichen Lautheitswahnsinn weit entfernt und lässt Raum für Dynamik und Lebendigkeit. Wie mit „Ahnunfürsich“ (1999) und „Chlodwigplatz“ (2011) gibt es auch diesmal wieder eine Reggae-Nummer. „Huh die Jläser, huh die Tasse“ heißt die und man mag kaum glauben, dass der Text tatsächlich schon vor der Corona-Pandemie entstanden ist. Als Hymne für alle „Lück, die enn kei Schema passe“, weil sie sich selbstlos um Schwache, Kranke, Benachteiligte und Ausgegrenzte kümmern, ist der Song textlich ebenso relevant wie aktuell, musikalisch aber eher ein weiterer verzweifelter Versuch, noch einmal einen Reggae zu schreiben, der dem „Müsli Man“ halbwegs das Wasser reichen kann. Dass das nicht funktioniert, sollte eigentlich seit dem unsäglichen „Time is Cash, Time is Money“ vom „Ahl Männer“-Album (1986) klar sein.

Zu meinen persönlichen Highlights des neuen Albums gehört auf jeden Fall das wunderschöne „Mittlerweile Josephine“, das Niedecken für seine Tochter bzw. Töchter Joana-Josephine und Isis-Maria geschrieben hat. Unter dem Video zum Song findet sich neben vielen anderen begeisterten Kommentaren die Aussage: „Gleichzusetzen mit ‚Do kanns zaubere‘“. Ich kann dem nur zustimmen, auch wenn das – neben „Paar Daach fröher“ – vielleicht der höchste Maßstab ist, den man an eine BAP-Ballade anlegen kann. Das Lied berührt nicht nur musikalisch mit seinen Arpeggien auf der 12string-Gitarre, der schwebenden Hammond-Orgel und dem gefühlvollen Gitarrensolo; es dürfte auch textlich jedem Vater einer heranwachsenden oder erwachsenen Tochter aus dem Herzen sprechen: „Un für alle Fälle, selvsverständlich, stonn ich prat, falls ens Nuht ahm Mann sinn sollt, roof: ‚Papa!‘ … ich benn do.“

Unter den ruhigen Stücken stechen neben „Mittlerweile Josephine“ auch die beinahe bilanzierenden Liebeserklärungen „Für den Rest meines Lebens“ und „Wenn ahm Ende des Tages“ besonders hervor. Warum diese Songs im Refrain ins Hochdeutsche kippen, bleibt wohl Wolfgang Niedeckens Geheimnis. Mag sein, dass diese Lieder die in ihnen aufgehobene Erfahrung so weit transzendieren, dass die jedem Dialekt eingeschriebene Verortung hier einfach unpassend wäre. Gerade das abschließende, für meinen Geschmack allzu kalenderspruchhafte „Leb‘ deine Tage, leb‘ dein Leben im Jetzt“, mit dem letztgenannter Song schließt, legt diese Erklärung nahe. Vielleicht hätte eine rein kölsche Version an dieser Stelle aber schlicht nicht so gut geklungen. In jedem Fall wirkt der sprachliche Registerwechsel hier stimmig, was für die Verliererballade „Verraten und verkauft“ meiner Meinung nach nicht unbedingt gilt.

„Für den Rest meines Lebens“ ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie subtil Niedecken allein durch die Wahl einzelner Vokabeln intertextuelle Bezüge schafft und das bereits erwähnte „Bap-Gefühl“ wohl auch dadurch antriggert. Mir fallen vor allem „Für-usszeschnigge-Vokabeln“ wie „jraaduss“ oder auch „Kathmandu“ auf, wo der Jupp bekanntlich „met zwei Yetis Skat jeklopp hätt“. Begriffe, die wie ausgeschnitten und wieder eingefügt wirken, ihren ursprünglichen Kontext mitbringen und im neuen Song anklingen lassen. „Für usszeschnigge“ als poetisches oder poetologisches Prinzip. Alles kommt wieder, wenn auch nicht als Wiederholung. Eher so, wie – frei nach Shakespeare – jede Welle den Platz mit der vorherigen tauscht.

Womit wir wieder beim Wellenrauschen von „Fuhl am Strand“ wären, das bei mir noch eine ganz persönliche „BAP-Erinnerung“ hervorruft: Major, wie er an einem heißen Junitag an der holländischen Küste schwarz gewandet und mit Hut langsam den Strand entlanggeht, während ich neben meinem damals neun Monate alten Sohn auf dem Strandtuch liege und den Sand durch die Finger rinnen lasse. Der Gitarrenheld meiner Jugend! – In späteren Jahren habe ich ihn noch oft gesehen, auch im Café, im Restaurant, im Supermarkt oder im Zeitschriftenladen unseres Lieblingsorts an der Nordsee. Bei BAP war er da schon lange nicht mehr. Einer, der sich den Wind um die Ohren wehen lässt, mit seiner Frau aufs offene Meer blickt und das Leben genießt. Und ich begreife die „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ plötzlich noch ein bisschen besser.

Bölls „Ansichten eines Clowns“ habe ich noch ein zweites Mal gelesen. Und zwar an einem seiner Schauplätze, dem Alten Friedhof in Bonn. Als Student wohnte ich direkt gegenüber; aus meinem Zimmer sah ich exakt dorthin, wo – in der Romanverfilmung – Hans Schnier, der resignierte Clown, seinen Bruder Leo vergeblich um finanzielle Unterstützung bittet. Eigentlich ein trauriger Ort. Aber ich genoss es, an sonnigen Herbstnachmittagen auf der Bank neben dem Grab von Clara und Robert Schumann zu sitzen und mich ganz in der Schnittmengenwelt von Kunst und Realität zu wissen. Vor ein paar Wochen habe ich wieder auf dieser Bank gesessen. Alles fließt.

Endlich!

Foto: Christoph Birken

Songs sinn Dräume, manchmohl Dräume,
Déjà-vus vun jet, wat noch wohr weede soll.
Songs sinn Länder, fremde Länder,
Wo mer immer schon hin wollt.

Wolfgang Niedecken

Guten Tag! Nachdem gestern – zwei Wochen nach der Nordkreis-Ausgabe – auch die Stadtausgabe der Aachener Zeitung in der Rubrik „Bands im Blick“ über meine neue Veröffentlichung berichtet hat, möchte ich es auch einmal selbst sagen: Das neue Album ist jetzt auch als CD erhältlich! Endlich! Und zwar über das Bestellformular auf dieser Website. So weit, so gut und so weiter. Es kostet nicht mehr als der Download der vierzehn Songs bei den großen Streaming-Portalen – bietet aber mehr: nämlich haptisch und optisch ein schönes Digipack mit 24-seitigem Booklet. So perfekt gestaltet von meinem Sohn Constantin. Und akustisch kannst du Immer aufs Ganze achten, weil du die Lieder in unkomprimierter Soundqualität hören und genießen kannst. Wenn alle Stricke reißen, weil du keinen CD-Player mehr besitzt, kannst du die Songs immer noch bei Spotify oder deinen Eltern anhören, zu denen dir ja sicher Kein Weg zu weit ist. Und außerdem: Dein CD-Regal ist um eine schöne Farbe (Pantone 7712 C) reicher. Aber bitte nicht dort verstauben lassen! Das tut dem Album nicht gut. Mach was draus!

Ab jetzt kann ich mich wieder dem Sammeln von musikalischen Ideen und textlichen Einfällen widmen, bleibe dabei gut und gerne Gutmensch und hoffe, dass mir niemand die Löcher im Bauch stopft, die ich zum Schreiben dringend brauche. Und ich begleite meine Gedanken auf dem Weg nach Hause genauso wie Auf der Flucht nach John o‘ Groats oder zu anderen Sehnsuchtsorten, wo neue Lieder warten. Was für ein Aufbruch!

Zweiter Platz beim WDR2-Voting

Heute habe ich vom WDR erfahren, dass mein Song „Auf der Flucht“ unter sehr großer Hörerbeteiligung bei der Aktion „Die beste Band im Westen“ auf den zweiten Platz gewählt wurde. Ich freue mich sehr über dieses schöne Ergebnis und möchte mich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bei allen bedanken, die mir die Daumen gedrückt, mir ihre Stimme und tolle Rückmeldungen zu meinem Song gegeben haben! Ich weiß, dass viele von euch in den sozialen Netzwerken für mich geworben, vor dem Radio gesessen, auf mein Lied gewartet und mitgefiebert haben. Eure Unterstützung zu spüren, war überhaupt das Wichtigste für mich!

Bedanken möchte ich mich aber auch bei der Redaktion von „WDR2 POP!“, insbesondere bei Helmut Brasse, für die Chance, meine Musik in einem sehr wertschätzenden Rahmen einer breiteren Öffentlichkeit via Internet und Radio präsentieren zu können. In der WDR-Playlist zwischen Lewis Capaldi, George Ezra und Dermont Kennedy aufzutauchen, war schon etwas Besonderes für mich. Man könnte sich glatt daran gewöhnen. Aber dann wär‘ es eben auch nicht mehr so besonders …

Ab dem 10. April in den digitalen Stores – „Endlich!“

Lange, sehr lange hat es gedauert, bis ich mein neues Album fertig hatte. Immer wieder musste ich längere Pausen einlegen, weil andere Dinge einfach Priorität hatten. Manchmal habe ich mir aber auch selbst im Weg gestanden, weil mir immer wieder neue Ideen für eigentlich längst fertige Songs kamen oder weil ich mit einmal getroffenen Entscheidungen nicht mehr glücklich war. Mal schien mir das Tempo für einen Song zu schnell, mal ein Arrangement zu dicht, mal eine Gitarrenspur zu unsauber, mal eine Chorstimme zu viel oder eine Textzeile zu banal. Also immer wieder neu. Als ich mir im letzten Jahr ein richtig gutes Gesangsmikrofon gegönnt hatte, war das gleichzeitig die gefühlte Verpflichtung, alle Songs noch einmal neu einzusingen. Wenn man will, kann man solche Überarbeitungen endlos fortsetzen, aber dann wird man eben auch nie fertig. Irgendwann muss man sagen: So ist es und so bleibt es jetzt auch.

Anfang des Jahres konnte ich das sagen. Und zwar mit einem guten Gefühl. Nachdem die letzten Takes im Kasten und die vierzehn Songs endgültig gemischt und gemastert waren, wurde an unterschiedlichen Stellen mit Hochdruck und Hingabe an der Veröffentlichung von „Endlich!“ gearbeitet: Bei uns zu Hause hat Constantin an der grafischen Gestaltung der Drucksachen so lange gefeilt, bis wir wirklich mit jeder Bookletseite, jeder Farbe, jedem Foto und jedem Schriftzug zufrieden waren. Und ich bin mehr als zufrieden, denn das Artwork ist richtig toll geworden, finde ich! Und in München hat Philipp Hagel von der Firma ZOUNDR nicht nur das Pre-Master für die CD-Pressung erstellt, sondern sich auch sonst um alles gekümmert, was bei der Herstellung und Veröffentlichung eines Tonträgers zu beachten und zu erledigen ist. Und das ist eine ganze Menge …

Jetzt gibt es – endlich – ein Datum: Am Freitag, dem 10. April, wird das neue Album bei Spotify, Amazon Music, Apple Music und Co veröffentlicht! Da könnt ihr die Songs dann streamen oder – je nach Anbieter und Abo – auch herunterladen. Ich würde mich natürlich noch mehr freuen, wenn ihr das Album – ganz klassisch – zum Anfassen, Auspacken, Durchblättern, Einlegen und unkomprimiertem Anhören erwerben würdet. Die Möglichkeit dazu gibt es ein paar Tage später ebenfalls!

Ich freue mich sehr darauf, euch die fertige CD zu präsentieren und die Songs live zu spielen. Leider steht aber noch in den Sternen, wann Konzerte wieder möglich sein werden, weshalb ich mich mit der Terminplanung derzeit bewusst zurückhalte. Bis dahin habt ihr immerhin die Gelegenheit, euch mit dem neuen Album schon einmal vertraut zu machen. So sieht’s aus. Und so wird’s aussehen:

Endlich!-Cover

„Die beste Band im Westen“ – das Voting läuft

Seit gestern Abend ist mein Song „Auf der Flucht“ auf der Website des WDR verfügbar und damit im Rennen um den Wochensieger. Über eure Stimme würde ich mich sehr freuen!

Das Lied wird am Donnerstagabend bei WDR 2 gespielt; die Online-Abstimmung geht bis Sonntag.

Und hier geht‘s zum Online-Voting:

Ein kleines Interview mit mir ist auch dabei:

Vielen Dank für eure Unterstützung!

Christoph

Christoph Birken mit neuem Song bei WDR2

Noch bevor mein neues Album erscheint, wird ein Song daraus bei „WDR2 Pop!“ gespielt! Im Rahmen der WDR-Bandaktion „Wählen Sie die beste Band im Westen“ werden jede Woche drei Bands oder Solokünstler aus Nordrhein-Westfalen vorgestellt. Eine Woche lang können die Radiohörer auf der Website des WDR für ihren Favoriten abstimmen. Zusätzlich gibt es auf der entsprechenden Seite (www.wdr2.de) die Lieder noch einmal zum Anhören sowie weitere Informationen zu den Wochenkandidaten.

Ich habe mich mit dem Song „Auf der Flucht“ für den Wettbewerb beworben, einem Titel, der mir nicht erst seit den rassistisch motivierten Verbrechen der jüngsten Vergangenheit sehr am Herzen liegt. Es geht darin vor allem um die Frage, wer eigentlich wovor auf der Flucht ist. Ich glaube, das sind neben denen, die vor Armut, Verfolgung und Krieg fliehen, vor allem wir selbst. Auf der Flucht vor unseren Idealen, unsrem schlechten Gewissen, unserer Mitmenschlichkeit. Auf der Flucht vor uns selbst.

„Auf der Flucht“ ist am Donnerstag, dem 12. März, in der Sendung „WDR2 Pop!“ (20:00 Uhr) zu hören. Ab Montag, dem 9. März, ist der Song bereits auf der WDR-Website verfügbar. Ich würde mich natürlich riesig freuen, möglichst viel Unterstützung im Rennen um die „beste Band im Westen“ zu erhalten! Wenn es so weit ist, teile ich an dieser Stelle auch den genauen Link für das Internet-Voting mit. Der Gewinner wird am 16. März bekanntgegeben – ebenfalls im Rahmen von „WDR2 Pop!“. Mal sehen, was geht!

Goldene Zwanziger

Foto: Christoph Birken

Einer meiner Lieblingstexte stammt von Franz Kafka und heißt „Der Aufbruch“. Die kurze Parabel, in der das erzählende Ich sein Pferd sattelt, um ohne jeglichen Proviant zu einem Ziel aufzubrechen, das es lediglich mit „Weg-von-hier“ beschreibt, endet mit dem rätselhaften Satz „Es ist ja zum Glück eine wahrhaft ungeheure Reise.“

Ist es ein Glück, dass die Reise wahrhaft ungeheuer ist? Dann verlöre das Ungeheuerliche seinen Schrecken und würde zum Möglichkeitsraum, der sich hinter dem Bekannten und Vertrauten eröffnet. Das eigentlich Bedrohliche wäre dann in der Berechenbarkeit geplanter Wege zu sehen. Oder ist in diesem letzten Satz vielmehr von einer Reise zum Glück die Rede? Dann wäre das Glück das Ziel des Reisenden – ein Ziel, das nur erreichen kann, wer sich auf Neues einlässt und dabei auch Ungeheures riskiert. So oder so: Der Aufbruch ist von existenzieller Bedeutung.

Kafka hat den kleinen Text im Jahr 1922 geschrieben, am Beginn eines turbulenten Jahrzehnts, das häufig als „Goldene Zwanziger“ bezeichnet wird. Ein Aufbruch nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs, eine Blütezeit der Freiheit in Literatur, Kunst, Musik und Wissenschaft, die mit der Weltwirtschaftskrise und dem Aufstieg des Nationalsozialismus ein schreckliches Ende fand. Aufbrüche sind immer ein Wagnis, immer eine Reise mit unbekanntem Ausgang. Aber eben auch unvermeidbar, wenn man nicht stehenbleiben will. Weg von hier. Zum Glück.

Roaring Twenties oder Boring Twenties? Heute, am ersten Tag des neuen Jahres und am Beginn der neuen Zwanziger Jahre, frage ich mich, welche Aufbrüche vor mir liegen und ob ich – wie der Reiter in Kafkas Parabel – bereit bin, mich auf den Weg zu machen. Dabei ist immer ein Moment der Unverfügbarkeit im Spiel, wie die Erfahrung lehrt. Die entscheidenden Aufbrüche im Leben sind nicht von langer Hand geplant und nicht das Ergebnis langer Entscheidungsprozesse. Sie sind eher ein Antworten auf ein Signal, das sich vielleicht mit der Trompete vergleichen lässt, die Kafkas Ich-Erzähler in der Tradition romantischer Lyrik plötzlich hört: „In der Ferne hörte ich eine Trompete blasen […]“.

Einer der Songs, die ich Anfang des Jahres auf meinem neuen Album vorstellen möchte, erzählt von solchen Aufbrüchen. Er hatte ursprünglich fünf Strophen, musste dann aber noch um eine sechste ergänzt werden, um für mich authentisch und wahrhaftig zu bleiben. Es ist vielleicht das persönlichste der vierzehn neuen Lieder. Und ganz bestimmt nicht das, was man gemeinhin als erste Single auskoppeln würde. Aber darum geht es – zum Glück – ja nicht.

Jeder Aufbruch ist anders. Auch in meinem Lied. Gemeinsam ist den unterschiedlichen Aufbrüchen allerdings, dass danach nichts mehr so ist wie davor. „Vun do ahn woor nix wie bessher, op einmohl woor irjendjet passiert“, singt Wolfgang Niedecken in einem thematisch durchaus verwandten Song.

Mit meinem Lied „Was für ein Aufbruch“, das ich noch nie live gespielt habe, aber an dieser Stelle schon einmal als Demo-Mix veröffentliche, wünsche ich euch allen das Beste, Glück und Gesundheit für das neue Jahr! Wer weiß, wie die ungeheure Reise weitergeht und welche Aufbrüche sie mit sich bringt! Achtet auf die Trompete! (In meinem Lied ist die Trompete übrigens ein Flügelhorn, wunderbar gespielt von Martin Schädlich.) Viel Spaß beim Hören!

FROHES NEUES JAHR und GOLDENE ZWANZIGER!

Was für ein Aufbruch (Text & Musik: Christoph Birken)

Simon mischt die Kölner Musikszene auf – Eldorados Debütalbum „Aanjekumme“

Foto: Christoph Birken

Vor ein paar Tagen schickte mir mein Freund und „Begleiter“ Simon über WhatsApp ein paar Fotos aus seinem Studio. Über die vielen bekannten Gesichter, die in der „Tonbauhütte“ ein- und ausgehen, wundere ich mich schon lange nicht mehr. Simon und sein Partner Manuel Sauer machen eben einen richtig guten Job. Aber dass gestern Hans Süper in ihrem Studio in Köln-Holweide war, finde ich dann doch regelrecht sensationell! Süper ist eben nicht irgendein Karnevalist, sondern für mich der Inbegriff des Kölner Karnevals. Schon als Kind habe ich mir die Prunksitzung am Rosenmontag im Fernsehen angeguckt und dabei dem Auftritt des Colonia-Duetts entgegengefiebert. Wenn die beiden dann endlich auftraten, habe ich den Kassettenrekorder auf Aufnahme gestellt und dem Rest der Familie das laute Lachen verboten. Später habe ich die Dialoge dann so oft gehört, bis ich sie auswendig mitsprechen konnte. „Mach noch mal das Colonia-Duett“, hieß es eine Zeit lang auf jeder Party. Und ich ließ mich nicht lange bitten.

Zu solchen Aktionen würde mich meine Begeisterung für Hans Süper heute sicherlich nicht mehr verleiten. Trotzdem habe ich in der langen Zwischenzeit immer aufgehorcht, wenn es etwas Neues von ihm oder über ihn gab. So habe ich mir vor Jahren das von Mike Herting produzierte Album „Musik uss der Kösch“ genauso zugelegt wie die im selben Jahr erschienene Süper-Biografie „Mein Leben mit der Flitsch“ von Helmut Frangenberg. Und jetzt spielt diese Flitsch in Simons Studio. Schon verrückt.

Und plötzlich verstehe ich auch besser, warum Simons neue Band „Eldorado“ heißt. Wenn Köln ein goldenes Land für Künstler und Bands ist oder sein soll, dann liegt das nicht nur an den vergleichsweise traumhaften Vermarktungsmöglichkeiten für Musik, sondern an Menschen, die der Stadt lange vor Cat Ballou und Konsorten eine Sprache, ein Gesicht und vor allem ein Gefühl gegeben haben. Allen voran der heute dreiundachtzigjährige Hans Süper, der die eigentlich stocksteife Büttenrede in eine anarchistische Kunstform aus Text und Musik verwandelt hat.

Das Eldorado der Kölner Musikszene ist seit einem Jahr um eine Entdeckung reicher. Zwar konnte man bereits in der letzten Session einen ersten Blick in die Schatztruhe des Quintetts werfen, doch zeigt erst das Anfang Oktober veröffentlichte Album „Aanjekumme“, welche Songperlen hier auf ihr Publikum warten. Um es gleich vorweg zu sagen: Das Debütalbum hat bereits mehr Nummern, die das Zeug zum Hit haben, als die gesamte Diskografie so manch etablierter Kölner Band. Obwohl die Songs unter großem Zeitdruck geschrieben und aufgenommen wurden, um sie rechtzeitig vor Sessionsbeginn 2019/20 veröffentlichen zu können, hört man jedem einzelnen Lied die Liebe zum Detail an, die ich von Simon seit Langem kenne. Und das gilt insbesondere für die Kompositionen, die Arrangements und den ebenso transparenten wie druckvollen Mix. Die Songs selbst stammen zum großen Teil aus der Feder von Simon und Manuel. Aber auch die anderen Bandmitglieder haben hier und da zu Text und Musik beigetragen. Mit Funky-Marys-Sängerin Andrea Schönenborn, die außerhalb Kölns vor allem durch ihre TV-Moderationen für den WDR bekannt sein dürfte, hatten die fünf Musiker zudem prominente Unterstützung beim Songwriting: Bei zehn von fünfzehn Titeln hat sie textlich und/oder musikalisch mitgemischt. Wie gut, wenn man so eine Freundin hat, mag sich Sänger Manuel Sauer gedacht haben. Dasselbe kann Simon über seine Anica sagen, die Albumcover und CD-Booklet – wie auch die Website der Band – in klassischem Schwarzweiß stilsicher gestaltet hat.

Anders als die – sorry – langsam öffnende Website geht das Album schon mit dem ersten Song „Willkumme“ richtig nach vorne und macht schon einmal klar, wohin die musikalische Reise geht: vom vielfach besungenen „Rhing“ mit dem Cabrio „der Freiheit hingerher“, um dann „Irjendwann“ nach einem vergeblichen Flirt mit dem wunderschönen „Mädche hinger d’r Thek“, etlichen „Leechterloh“ durchgefeierten Nächten und der Erkenntnis, dass es im Leben nicht immer ein Happy End wie in „Hollywood“ gibt, wieder „Noh Hus“ zu kommen, wo die Richtige auf einen wartet, an die keiner „drankütt“. Und im letzten, sehr persönlich wirkenden Song geht die Reise dann schließlich endgültig zu Ende oder – je nach Betrachtung – erst richtig los: „Maach et joot, kumm joot rövver“. Hier wird der Rhein zum Styx, zu dem Fluss also, über den in der griechischen Mythologie der Weg ins Reich der Toten führt. „Aanjekumme“ ist so gesehen ein sehr passend gewählter Albumtitel, dem sich vom ersten bis zum letzten Song immer neue Facetten abgewinnen lassen. Und angekommen sind die fünf Vollblutmusiker nicht zuletzt bei sich selbst, nachdem sie in den Jahren zuvor eher als Dienstleister für ein inzwischen leider arg versteinertes Urgestein des Kölschen Karnevals unterwegs waren.

Foto: Christoph Birken

Dass es heute mehr ist als der potenzielle kommerzielle Erfolg, was die Band zusammenhält, wurde beim Album-Release-Konzert im Club Volta an der Schanzenstraße in Köln-Mülheim mehr als deutlich. Hier konnte man am Vorabend der CD-Veröffentlichung eine Band erleben, die nicht nur aus technisch versierten Einzelkönnern besteht, sondern auch im Zusammenspiel – musikalisch wie menschlich – perfekt harmoniert. Wenn ich mich richtig erinnere, wurden alle fünfzehn Songs des Albums gespielt und von Manuel auf sehr sympathische Art anmoderiert. Als Mittelpunkt der Band überzeugt er nicht nur als Sänger, sondern auch als Typ, was gerade im Kölner Karneval mindestens genauso wichtig ist. Im Gegensatz zu vielen anderen Frontmännern oder (leider seltener) -frauen wirken seine Posen nicht einstudiert, sein Kölsch nicht mühsam antrainiert, seine Begeisterung nicht gestellt und sein Humor nicht zielgruppentauglich zurechtgemacht. Er ist vielmehr authentisch, echt. Und auch seine Liebeserklärung an Holweide nimmt man ihm ab, auch wenn der Kölner Lokalpatriotismus gerade im Karnevalskontext nicht selten überstrapaziert und instrumentalisiert wird.

Bei aller Liebe zur Musik muss eine Band, die ihr Hauptgeschäft im Karneval verortet, natürlich Kompromisse machen. Neben Songs mit textlicher und musikalischer Tiefe muss es auch solche geben, die in der jecken Zeit schlicht funktionieren, also die Menschen in den Sälen und auf den Straßen zum Feiern bringen und auch mit viel Alkohol im Blut noch inhaltlich und gesanglich nachvollziehbar bleiben. Auch solche Lieder gibt es auf „Aanjekumme“. Zu den lupenreinen Karnevalskandidaten würde ich neben dem bereits aus der letzten Session bekannten „1,2 oder 3 (Kein Ende)“ auch die Songs „Bes die Sonn‘ opjeiht“, „Bütz mich“, „Leechterloh“ und nicht zuletzt das kongenial eingekölschte Versengold-Cover „Verlieb‘ dich nie“ zählen. Bleiben immerhin noch zehn Nummern, die auch außerhalb des Karnevals Gehör und Fans finden dürften. Kurios erscheint in diesem Zusammenhang, dass Höhner-Sänger Henning Krautmacher ausgerechnet bei dem chilligen „Hück es der Daach“ seinen Gastauftritt hat, einem Lied, das ich mir im Karneval allenfalls als Rausschmeißer vorstellen kann.

Eldorado selbst scheinen ihr Repertoire nicht in Schubladen einzuteilen und ähnlich wie etwa Kasalla auf das Konzept „Popmusik einschließlich karnevalskompatibler Hits“ zu setzen. Und das ist natürlich auch gut so, weil es letztlich nur darauf ankommt, ob Musik mit Hingabe, Herz und handwerklicher Perfektion gemacht ist. Und das kann man zweifellos von allen Songs auf „Aanjekumme“ sagen. Bei der letztjährigen „Loss-mer-singe“-Tour ging die Band mit dem Titel „An dich kütt keiner dran“ an den Start, einer eingängigen und berührenden Ballade im Sechsachteltakt, die sich zum Schunkeln genauso eignet wie zum Zurücklehnen und Genießen. Für mich tatsächlich einer der besten Songs des Albums. Und dann ist es auch vollkommen egal, ob man Eldorado in die Abteilung „Kölschrock“ (Wikipedia) oder „Schlager & Volksmusik“ (Media Markt) steckt. (Obwohl letztere Einordnung schon angesichts des imagebildenden Lederjacken-Covers relativ absurd erscheint.)

Never judge a book by the cover. Deshalb zurück zur Musik: Der erste Song heißt den Hörer eindeutig nicht in der Welt des Schlagers willkommen, sondern bedient sich auffälliger Rock-Zitate: Passend zur Strickmütze eröffnet Gitarrist Michael Brettner das Album mit einem „The-Edge-mäßigen“ Riff, auf das der Chorus „Willkumme in unsrem Eldorado“ in seinen vielen Wiederholungen wie ein Mantra aufsattelt. Wenn in der Bridge dann noch Coldplays „Clocks“ den Takt schlagen, weiß man spätestens, dass hier klanglich nicht gekleckert, sondern geklotzt werden soll. Und das ganz im positiven Sinne! Denn was Simon und Manuel an ihren Reglern realisiert haben, klingt weniger nach „Hütte“ als nach „Stadion“ und braucht sich vor keiner international erfolgreichen Produktion zu verstecken. Das ist natürlich auch das Verdienst der einzelnen Musiker, die ausnahmslos hervorragend abgeliefert haben. Ganz besonders trifft das auf Alex Vesper zu, der mit unheimlich präzisem Spiel den nötigen Druck und Drive garantiert und mit oft überraschenden Breaks, Fills und Endings dafür sorgt, dass die Lieder zu keinem Zeitpunkt langweilig oder berechenbar werden. Gott sei Dank klingt auch die Snare noch wie eine Snare und wurde nicht – wie derzeit leider häufig – bis zur Unkenntlichkeit komprimiert.

Zu meinen persönlichen Favoriten gehören die Songs, die im Refrain richtig groß aufmachen: die Köln-Hymne „Irjendwann“, der Mutmacher „Schöne joode Morje“ mit Pink-Floyd-mäßigem Kinderchor und amtlichem Gitarrensolo, das geradlinige, an die frühen Brings erinnernde „Noh Hus“ mit seinem tollen mehrstimmigen Chorgesang und – last but not least – das grandiose „In d’r Rhing“. Für mich das beste Stück des Albums überhaupt. Vielleicht auch deshalb, weil hier das Kunststück gelungen ist, beim Thema Rhein nicht in die textliche Klischeefalle zu tappen. Das ist meines Wissens bisher nur Kasalla („Der Fluss“) und den gerade schon erwähnten Brings gelungen („Et ränt en d’r Rhing“). Was diese gegen den Strich gebürsteten Rhein-Lieder verbindet, ist ihre eher düstere Grundstimmung. Der Rhein kann einen eben auch in den Abgrund reißen, wie schon die Romantiker wussten. So ist es auch in diesem wunderbar „laid back“ gesungenen Eldorado-Song, der den Rhein gewissermaßen auf die Probe stellt: „Fängst du mich op, wenn ich jetzt falle dät?“ Die Antwort – und das finde ich regelrecht genial – gibt nicht der Text selbst, sondern das förmlich abhebende Gitarrensolo am Ende, das bei mir auch live für eine Gänsehaut gesorgt hat. Während der Wunsch zu fliegen sprachlich noch im Konjunktiv daherkommt („als künnt‘ ich fleeje“), übersetzt Brettner das Fliegen in Musik. Und der Rhein wird für eine sichere Landung sorgen. Und ist dann wieder der „Vater Rhein“, der seine Kinder beschützt. Dass sich im Solo Anleihen bei „Little Wing“ und „Sweet Child o‘Mine“ finden, mag Zufall sein. Aber es passt perfekt! Das ist alles richtig gut gemacht. Rheinwasser-Samples inklusive.

Nicht alle Songs erreichen inhaltlich das Niveau von „In d’r Rhing“. Manches bleibt letztlich bekannten Mustern verhaftet, auch wenn die Suche nach originellen sprachlichen Wendungen und Metaphern unüberhörbar ist. Positiv fällt da zum Beispiel das Cabrio-Motiv mit der „ahl Kassett em Radio“ auf, auch wenn man vielleicht darüber streiten kann, ob das Cruisen mit einer Spritschleuder in Zeiten von „Fridays for Future“ noch songtauglich ist. Für starke Bilder im Kopf und im Video sorgt es allemal. Und darum geht es hier.

Auch einer Band, die sich nicht auf Karneval reduzieren lassen will, sind textlich natürlich bestimmte vermarktungsstrategische Grenzen gesetzt. Dass man den Themenkreis Heimat-Liebe-Feiern aber durchaus deutlich erweitern kann, dafür sind Kasalla meiner Ansicht nach das beste Beispiel. Die haben sogar aus der „Poss vum Finanzamp“ einen Song gemacht. Oder sich mit „Fleisch un Bloot“ politisch eingemischt und ein eindrucksvolles Statement gegen Fremdenfeindlichkeit abgegeben. Das wäre heute wohl wichtiger denn je. Thematisch ist bei künftigen Produktionen also noch Luft nach oben. Musikalisch wird es hingegen gar nicht so leicht sein, das vorgelegte hohe Level zu halten.

In jedem Fall kann man Jürgen Hoppe und seinem neu gegründeten Label SpektaColonia, das lustigerweise auch meinen ehemaligen Bandkollegen und Ex-Räuber Torben Klein (z. B. „Mutter Erde“) unter Vertrag genommen hat, zur Verpflichtung von Eldorado nur gratulieren. Beim bisherigen Monopolisten Pavement-Records dürfte man jedenfalls schon Schnappatmung bekommen haben. Ich bin ziemlich sicher, dass Eldorado schon sehr bald aus dem Schatten der großen Namen heraustreten werden. Verdient hätten sie es.

Alles richtig gemacht, Simon!

Vorgestern in der Abbey Road

Foto: Carmen Heitzer-Birken

In der Musikkomödie „Yesterday“, die seit zwei Wochen in den deutschen Kinos zu sehen ist, entwerfen Danny Boyle (Regie) und Richard Curtis (Drehbuch) eine Welt, in der es die Beatles und ihre Musik nie gegeben hat. Zumindest sind sie nach einem weltweiten Stromausfall aus dem kulturellen Gedächtnis der Menschheit getilgt. Nur der bis dato erfolglose Singer-Songwriter Jack Malik kann sich an ihre Lieder erinnern. Von den begeisterten Reaktionen seiner Freunde auf seine Beatles-Cover überrascht und überwältigt, gibt er sie fortan als seine eigenen Songs aus und wird schließlich zum Megastar und als größter Songwriter und Musiker aller Zeiten gefeiert.

Eine originelle Filmidee, die für gute Unterhaltung sorgt und die großartigen Songs der Beatles ganz nebenbei auch einer Generation bekannt machen dürfte, die im unendlichen Angebot der Musik-Streaming-Dienste bevorzugt oder ausschließlich nach aktuellen Hits sucht. Dass die Songs der Beatles da mindestens mithalten können, machen die für den Soundtrack neu eingespielten und von Hauptdarsteller Himesh Patel selbst gesungenen Versionen mehr als deutlich. Gerade der erzählerische Kunstgriff der Trennung der Songs von ihren charismatischen Machern erweist den Kompositionen der Beatles die denkbar größte Ehre: Sie sind nicht abhängig von einem soziokulturellen Phänomen der sechziger Jahre, sondern zeitlos gültig, zeitlos schön. Und werden darum auch in der Gegenwart wieder zu Welthits. Ob das wirklich so wäre, ist eine andere Frage, die der Film aber nicht stellen und schon gar nicht beantworten muss.

Unstrittig aber wäre die Geschichte der Popmusik ohne die Lieder und Arrangements der Beatles eine andere. Dass es in der Welt des Films auch keine Band namens „Oasis“ mehr gibt, wie Jack in einer der besten Szenen durch gezieltes Googeln herausfindet, ist da nur konsequent. Auch dass Ed Sheeran, der sich im Film selbst spielt und dabei eine große Portion Humor und Selbstironie beweist, ganz ohne die Beatles dieselben Songs geschrieben hätte, darf bezweifelt werden. Und vermutlich muss man sich als Songwriter nicht einmal zu den Beatles-Fans zählen, um von ihnen – unmittelbar oder mittelbar – beeinflusst zu sein. 

Das erste Lied, das Jack Malik auf seiner neuen Gitarre anstimmt, ist nicht zufällig das titelgebende „Yesterday. Gestern war eben noch alles anders. Auf YouTube findet sich ein Video der für den Film gemachten Neuaufnahme des wohl bekanntesten Songs der Beatles. Zu Beginn sieht man Darsteller und Sänger Himesh Patel, wie er die von unzähligen Beatles-Pilgern bekritzelte Mauer vor den Abbey-Road-Studios passiert und die Stufen zur wohl berühmtesten Studiotür der Welt hochläuft. Den Gitarrenkoffer in der rechten Hand. Glaubt man den Angaben im Vorspann, singt und spielt er den Song live im Studio, begleitet nur von wenigen Studiomusikern. Großartig!

Vorgestern war ich selbst in der Abbey Road Nummer 3 und habe die Magie dieses legendären Ortes, an dem die Beatles – und neben ihnen auch andere Größen wie Pink Floyd – fast alle ihre Alben aufgenommen haben, auf mich wirken lassen. Und ich habe mich gefragt, an welche Beatles-Songs ich mich erinnern würde, wenn sie – wie im Film – plötzlich aus dem kollektiven Gedächtnis und auch aus meinen Platten- und CD-Regalen verschwunden wären. Ganz schön viele, glaube ich, auch wenn ich mit der Rekonstruktion der Texte wahrscheinlich doch meine Probleme hätte. Wichtiger als einzelne Songs sind mir persönlich aber ohnehin bestimmte Erinnerungen, die mit den Beatles verknüpft sind und so etwas wie Wegweiser für meine eigene musikalische Sozialisation und Entwicklung waren.

Zum Beispiel erinnere ich mich an eine Musikstunde aus meiner Schulzeit. Es muss in der fünften oder sechsten Klasse gewesen sein, als unsere sonst eher klassisch ambitionierte Lehrerin auf die ausgesprochen gute Idee kam, uns „Eleanor Rigby“ und Penny Lane“ vorzuspielen und die Texte und Kompositionen mit uns zu besprechen. Zwar war mir damals bewusst, dass diese Band schon seit mehr als zehn Jahren nicht mehr existierte und daher irgendwie von gestern war, doch sprachen mich diese Songs ungeheuer an. Mit meinem besten Schulfreund, dem es wohl genauso ging, machte ich mich dann in den folgenden Wochen direkt ans Verfassen eigener Songs. Natürlich auf Englisch. Oder was wir dafür hielten.

Die Beatles waren es dann auch, die mich zum Kauf meiner ersten Schallplatte überhaupt animierten. Ich weiß noch, wie ich in den kleinen Plattenladen am oberen Ende der Kaiserstraße ging und nach dem „Roten Album“ fragte. Das war nämlich eine der Platten, die unsere Musiklehrerin aufgelegt hatte. Leider nur ein nach der Trennung der Band von der EMI veröffentlichtes Best-of-Album der frühen Hits (1962-1966) und keine authentische Beatles-Platte. Aber immerhin. Als Einstiegsdroge hat es seine Wirkung nicht verfehlt. Das komplementäre „Blaue Album“ mit den Hits der späteren Phase (1967-1970) habe ich mir merkwürdigerweise nie zugelegt, obwohl mir diese Lieder mindestens ebenso gut gefielen. Wahrscheinlich, weil ich dann doch lieber die Originalalben kennenlernen wollte. Das sogenannte weiße Album („The Beatles“) aus dem Jahr 1968 war dann auch für lange Zeit meine absolute Lieblingsplatte; die darin enthaltenen Porträtfotos der Fab Four hingen selbstverständlich in meinem Zimmer an der Wand. John Lennon war für mich gleich in doppelter Hinsicht ein Vorbild: zuallererst natürlich als Musiker, aber auch – und zunehmend mehr – als moralische Instanz.

Vorgestern in der Abbey Road habe ich mir dann im angegliederten Shop noch ein Album gekauft, das ich bislang nur als Kassette besessen und daher ewig nicht mehr gehört hatte: „Abbey Road“, die letzte Platte der Beatles, die sie als Band gemeinsam einspielten. Und mit „Something“ und „Here Comes the Sun“ sind sicherlich zwei der besten Beatles-Songs überhaupt auf diesem wunderbaren Album vertreten. Beide geschrieben und gesungen von George Harrison.

Wir waren nicht die Einzigen, die sich vor den Abbey-Road-Studios eingefunden hatten. Und schon gar nicht die Einzigen, die einmal über den berühmtesten Zebrastreifen der Welt gehen wollten. Menschen aus allen Ländern kamen und gingen im Minutentakt. Junge und nicht mehr ganz so Junge, Männer und Frauen. Alle mit dem Ziel, das ikonische Cover des 69er-Albums nachzustellen und sich dabei fotografieren zu lassen. Übrigens fast auf den Tag genau fünfzig Jahre nach der Aufnahme des Originalfotos. Manche machten auch ziemlich verrückte Verrenkungen in der Mitte des Zebrastreifens oder verliehen ihrer Verzückung lautstark Ausdruck. Alles zur Feier des Augenblicks. Zur Feier der eignen Begeisterung, der eigenen Erinnerung. Zur Feier der Beatles.

Nur eine junge Mutter fiel aus dem Rahmen. An der einen Hand hielt sie ihre kleine Tochter, an der anderen deren lila-pinkfarbenen Rucksack. Die beiden gingen einfach über den Zebrastreifen, weil sie von der einen auf die andere Seite der Abbey Road wollten. Schnell und auf den Straßenverkehr konzentriert. Als hätte es die Beatles nie gegeben.

Foto: Carmen Heitzer-Birken

„Mutter Erde, atmest du noch?“

Vor drei Jahrzehnten, als ich den Song „Mutter Erde“ geschrieben habe, gab es noch keine „Fridays-for-Future“-Demonstrationen. Es hätte sie aber wohl schon geben müssen, wie wir nicht erst seit Greta Thunberg wissen. „Viel zu lang’ – jetzt drängt die Zeit – hab’n wir nur zugeguckt“, habe ich damals getextet, als ich ungefähr so alt war, wie die Initiatoren der Bewegung heute sind. Ich finde es großartig, dass Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten nicht länger zugucken, sondern selbst aktiv werden, indem sie ihre Stimme für den Klimaschutz in der Öffentlichkeit erheben. Dass sie dafür Netzwerke aufbauen und teilweise lange Wege zurücklegen, um wie heute in Aachen dabei sein zu können, ist ein eindrucksvoller Beleg dafür, dass sie – vielleicht im Unterschied zur Generation ihrer Eltern und Lehrer – die wichtigste Lektion schon gelernt haben: Zu den zentralen Erziehungszielen gehören laut Schulgesetz NRW „die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen“ (§2, Absatz 2) sowie „das Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl, die Natur und die Umwelt“ (§2, Absatz 4). Lernziel erreicht, würde ich sagen.

Mutter Erde

Mutter Erde, atmest du noch?
Bleibt dir noch nicht die Luft weg?
Mutter Erde, so antworte doch!
Wir ersticken im Dreck.

Mutter Erde, lass dich grüßen!
Mutter Erde, wir treten dich mit Füßen!

Viel zu lang’ – es tut uns leid –
Hab’n wir dich angespuckt.
Viel zu lang’ – jetzt drängt die Zeit –
Hab’n wir nur zugeguckt.

Mutter Erde, wir treten dich mit Füßen!
Mutter Erde, wir werden dafür büßen!

Fast zu spät seh’n wir jetzt ein: Wir sind nichts ohne dich.
Du brauchst auf uns nicht stolz zu sein,
Doch lass uns nicht im Stich!

Mutter Erde, der Fortschritt ist ein Blinder!
Mutter Erde, wir sind gebrannte Kinder!

Du hast uns immer nur verwöhnt,
Wir sollten dankbar sein.
Hab‘n dich in eitlem Wahn verhöhnt
Und sind jetzt mutterseelenallein!

Mutter Erde, lass dich grüßen!
Mutter Erde, wir treten Dich mit Füßen!

Wir halten uns für klug,
Sind eine wild gewordene Herde,
Zum Überleben nicht schlau genug,
Mutter Erde!

Mutter Erde, wir woll’n dir helfen. Hilf uns!
Mutter Erde, wir woll’n dich retten. Rette uns!

Nach langer Zeit kehr’n wir zurück,
Klopfen an deine Tür.
Verlorene Kinder ohne Glück,
Nimmst du uns auf bei dir?

Zum Frühlingsanfang

WILLKOMMEN LENZ

Willkommen / Lenz! du Freuden-Wiederbringer /
des Jahres Mann / du Blumen-Vater du /
du der Natur ihr Pinsel und ihr Finger /
mit dem sie mahlt die schöne Erden-Zwinger /
der du zerschmelzt des Winters Eise-Schuh /
willkommen / Lenz! durch den die Erde jünger
und schöner wird / du warmer Kältbezwinger /
du Auen-Freund / du Geber neuer Ruh /
der Flora Buhl / du Leid- und Schnee-Verschlinger!
Nim an die Ehr / die ich dir hier anthu /
du unsrer Lust und Schäferspielbezünger.
Willkommen / Lenz!

SIGMUND VON BIRKEN (1645)

aus: Die deutsche Literatur. Hg. v. Renate Fischetti, Otto F. Best u. Hans-Jürgen Schmitt. Reclam, Stuttgart 1975, Bd. 4. S. 99 f., behutsam modernisiert

Ich habe diesem schönen Gedicht von meinem adligen Namensvetter aus dem 17. Jahrhundert nichts hinzuzufügen. Es passt einfach perfekt zu diesem wunderschönen Frühlingsanfang!

Meine Glücksgeschichte

In seinem neuen Buch „Trittsteine zum Glück“ hat Heinz-Willi Gerards „100 Glücksgeschichten“ gesammelt. Alle Texte handeln von Glücksgefühlen. Jeder auf seine Weise. Gemeinsam ist ihnen, dass es nicht um das ganz große Glück geht, das Ratgeber, Werbung oder Schlager in abgedroschenen Worthülsen verheißen, sondern um scheinbar unbedeutende, oft alltägliche Momente, die wir oft erst im Nachhinein als die wahren Meilensteine unseres Lebens erkennen. Auch ich habe eine ganz persönliche Glücksgeschichte zu dieser schönen Textsammlung, die am vergangenen Samstag im Alten Rathaus in Würselen präsentiert wurde, beitragen dürfen. „Ein bisschen Kelly Family“ heißt meine kleine Erzählung, die – wie könnte es anders sein – natürlich mit Musik zu tun hat. Aber auch mit meiner Familie. Schließlich geht es ja ums Glück …

Das Buch, dessen Erlös dem vom Herausgeber gegründeten Verein „Wertvoll“ zukommt, ist im Spirit Rainbow Verlag erschienen und ist im Buchhandel oder auch bei Amazon erhältlich:

„Trittsteine zum Glück: 100 Glücksgeschichten“ bei Amazon

Das Schicksal trägt Brille – Kunze in Köln

Steht eigentlich irgendwo geschrieben, dass man auf der eigenen Website nur über sich selbst schreiben darf? Nicht dass ich wüsste! Also habe ich mir überlegt, euch hin und wieder von meinen Konzertbesuchen zu berichten. Ich bin nämlich fast so gerne Zuhörer im Saal wie Akteur auf der Bühne. Besonders gerne höre ich mir Bands oder Sängerinnen und Sänger an, die nicht oder noch nicht ganz so bekannt sind und eher in kleineren Locations auftreten. Im letzten Jahr war ich zum Bespiel bei Marcel Brell im „Blue Shell“ oder bei Felix Meyer im „Artheater“ in Köln. Beide waren großartig.

Am vergangenen Donnerstag gastierte Heinz Rudolf Kunze im Palladium. Okay, der zählt nun schon lange nicht mehr zu denen, die noch nicht ganz so bekannt sind. Im Gegenteil: Er zählt zu denen, die völlig zu Recht zu Ikonen deutschsprachiger Musik geworden sind. Das ist – wenn man so will – die zweite Kategorie von Konzertbesuchen, die mich interessiert. Und dann kann ich ziemlich hartnäckig sein, über Jahrzehnte jedes Album kaufen und kaum eine Tour verpassen. Mein erstes HRK-Konzert, das heute vielen als eines seiner besten überhaupt gilt, habe ich vor achtundzwanzig Jahren erlebt. Auf der anderen Straßenseite. Im E-Werk. Da war ich schon lange Fan.

Obwohl Kunze seit damals im Grunde immer auf meinem Radar geblieben ist, hatte ich den Termin diesmal irgendwie nicht auf dem Schirm. Und so wäre ich gewiss auch nicht dabei gewesen, hätte sich mein Kölner Freund Peter, mit dem ich seit der „Draufgänger-Tour“ von 1993 schon manches Kunze-Konzert gemeinsam besucht habe, nicht ein paar Tage vor dem Konzert bei mir gemeldet: Jemand hatte kurzfristig abgesagt und ihm seine Karte überlassen. Schöne Grüße vom Schicksal.

Als wollte Kunze es mit zweiundsechzig Jahren noch einmal richtig krachen lassen, war diesmal alles eine Nummer größer als in den vergangenen Jahren: Palladium statt Gloria, Videoprojektionen auf vier Leinwänden statt „einfachem“ Bühnenlicht und – zusätzlich zu der fünfköpfigen und wie immer hochkarätigen „Verstärkung“ – zwei Background-Sängerinnen. Eine der beiden, Jördis Tielsch, durfte etwa in der Mitte des Programms mit „Bühne deines Lebens“ sogar ein eigenes Lied performen, was ich bei einem Kunze-Konzert auch noch nicht erlebt habe. Dafür gab es reichlich Applaus. Völlig zu Recht, wie ich fand.

Die Bühne dieses Abends gehörte allerdings zweifellos dem Altmeister. Und der war sichtlich gut gelaunt, voller Spielfreude und zog alle Register seines Könnens. Wenn Kunze das Leben auf Tour im Refrain des Openers „Raus auf die Straße“ lapidar mit „Das muss Liebe sein“ kommentiert, dann lieferte das dreistündige Konzert im Palladium dafür einen eindrucksvollen Beweis. Bestimmten zu Beginn die Songs des aktuellen Albums „Schöne Grüße vom Schicksal“ die Setlist, mischten sich im Laufe des Abends immer mehr ältere Nummern und mit „Das Ultimatum“ sogar ein Song vom 1982er Album ins Programm. Insgesamt eine tolle Songauswahl, wobei Kunze für meinen Geschmack allzu sehr auf seine Hits vertraute. Lieder wie „Mit Leib und Seele“, „Meine eigenen Wege“, Leg nicht auf“ oder „Dein ist mein ganzes Herz“ sind sicherlich Meisterwerke und Garanten für viel Applaus, müssen aber nicht immer sämtlich bei jeder Tournee gespielt werden, meine ich. Stattdessen hätte ich mir die eine oder andere Überraschung gewünscht. Verschüttete Perlen gibt es bei inzwischen sechsunddreißig Studioalben ja mehr als genug.

Dafür freute ich mich umso mehr, dass neben der obligatorischen Mitsinghymne „Wenn du nicht wiederkommst“ mit „Der Abend vor dem Morgen danach“ auch ein Song vom 1991er Album „Brille“ gespielt wurde. Und zwar in einer besonders schönen Version mit einem Fiddle-Intro von Jördis Tielsch, die – wie man hörte – nicht nur singen kann. Meine Hoffnung, dass es auch mein Kunze-Favorit „Stirnenfuß“ in die Setlist geschafft haben könnte, erfüllte sich aber leider nicht. Auch wenn mir der Albumtitel bei seinem Erscheinen seinerzeit durchaus einen Schreck eingejagt hatte – ich hatte doch erst zwei Jahre vorher eine Brille für titeltauglich befunden und fand das ziemlich originell –, ist „Brille“ bis heute meine Lieblingsplatte von HRK geblieben. Und außerdem ist Kunzes Wayfarer von einer Nickelbrille ja auch meilenweit entfernt.

Freunde skurriler Texte à la „Stirnenfuß“ durften sich über „Finderlohn“ oder „Schorsch genannt die Schere“ freuen. Daneben kamen sie natürlich bei Kunzes wunderbar bizarren Zwischentexten auf ihre Kosten. Mein Freund Peter, der selbst mit Sprechtexten auf der Bühne steht, meinte dazu, Kunze sei ja eigentlich der Erfinder der Slam-Poetry. Stimmt vermutlich, denn zumindest im deutschsprachigen Raum gab es in den achtziger Jahren noch keine Poetry-Slams. Aber Kunzes Wortkunst gab es da schon auf den Bühnen der Republik. Vielleicht weil er immer schon textliche Einfälle hatte, die das Format des Pop- oder Rocksongs sprengten. Und das will etwas heißen bei einem, der die Grenzen dieser Kunstform wie kaum ein Zweiter ausgelotet hat.

Wahrscheinlich ist es das, was mich immer schon an Heinz Rudolf Kunze fasziniert hat. Diese Kombination aus Lyrik und Rock, Intellekt und Bauchgefühl, Herz und Verstand. Und darin ist er tatsächlich „besser, viel besser als der Rest“. Nicht zuletzt an dem minutenlangen Beifall für das wunderschön arrangierte „Aller Herren Länder“, das heute aktueller scheint denn je, konnte man deutlich spüren, wie sehr er den Nerv der Zeit trifft und seinem Publikum aus der Seele spricht. Für mich immer noch eine Quelle der Inspiration für die Arbeit an meinen Liedern.

Aber ich wollte ja nicht über mich schreiben.

Frohe Weihnachten!

Foto: Christoph Birken (2018)
Foto: Christoph Birken

An einem eiskalten Samstagmorgen Ende November bin ich mit meinen Freunden aus Kindertagen im Hürtgenwald gewandert. Einen Rundwanderweg von Zerkall hinauf nach Bergstein und über eine andere Route wieder zurück. Diese Gegend war nicht nur ein äußerst grausamer Kriegsschauplatz im Zweiten Weltkrieg, sondern auch ein bevorzugtes Wandergebiet Heinrich Bölls, eines der größten Humanisten, die je in deutscher Sprache geschrieben haben. Böll kam gerne nach Bergstein, um in der kleinen Kneipe neben der Kirche ein Bier zu trinken. Wusste einer meiner Freunde verlässlich zu berichten. Der Wirt war nämlich der Vater einer Arbeitskollegin von ihm. Die Kneipe ist heute ein asiatisches Kampfsportstudio. Nichts bleibt. Außer meinen alten Freunden. Die sind immer noch alle da.

Warum erzähle ich das? Weil ich beim Wandern darüber nachgedacht habe, warum Heinrich Böll, der den Krieg und seine Folgen so verabscheut und literarisch zeitlebens mit ihnen gerungen hat, seine letzten Jahre ausgerechnet in dieser Ecke der Eifel verbracht hat. Vielleicht, weil keine Gegend so gottverlassen und dunkel sein kann, dass sie nicht auch wieder zu einem Ort der Menschenfreundlichkeit, des Lichts und der Hoffnung werden könnte. Heinrich Böll und Hoffnung? Ich finde schon. Man muss nur das kleine Gedicht lesen, das er wenige Wochen vor seinem Tod für seine Enkelin Samay geschrieben hat. „Keine Angst“, heißt es da zweimal. Und die Begründung dieser Zuversicht hat nichts mit materieller Absicherung zu tun. Sondern mit einer Geborgenheit, die das ganze Leben umfasst und darüber hinausreicht.

„Keine Angst“. Klingt ein bisschen wie „Fürchtet euch nicht.“

In guter Gesellschaft

Als kleinen Vorgeschmack auf das neue Album, das mit großen Schritten auf sein Erscheinen im Mai 2019 zugeht, kann ich euch ein Lyric Video zu meinem Song „Gutmensch“ präsentieren! Welcher Tag könnte dazu besser geeignet sein als der 11. November, der Tag des Martin von Tours? Der war ja nun wirklich ein guter Mensch, ein Gutmensch par excellence. Und das nicht nur, weil er an einem kalten Wintertag am Stadttor von Amiens seinen Mantel mit einem Bettler geteilt hat. Er war zum Beispiel auch der erste Kriegsdienstverweigerer der Geschichte. Vermutlich musste er dafür viel Spott und Hohn einstecken, zumal er es als Offizier der römischen Armee in den Augen der Gesellschaft ja schon weit gebracht hatte. Aber so ist das nun mal bei den Gutmenschen. Sie werden gerne lächerlich gemacht. Unwort des Jahres 2015 hin oder her: Der Begriff wird immer noch als Kampfbegriff und Schimpfwort gebraucht. Besonders von rechten Bösewichten.
Ich finde es toll, dass es in unserem Land so viele Menschen gibt, die wie Sankt Martin an die Ideale von Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe glauben und danach handeln. Und damit tun sie übrigens auch sich selbst etwas Gutes. Wie heißt es so schön in der ersten Strophe des Martinsliedes: „Sankt Martin ritt mit leichtem Mut“. Was für eine schöne Formulierung, was für eine beneidenswerte Lebenshaltung! Da möchte man doch auch Gutmensch sein! Mit leichtem Mut. Und mit Martin ist man da in guter Gesellschaft.

Vielen Dank an Eric und Constantin, die enorm viel Kreativität und Zeit in die Konzeption und Realisierung des Videos gesteckt haben! Ich freue mich über das schöne Ergebnis!

Aix-la-la-Chapelle – Ein Lied geht aus dem Haus

Foto: Sonja Claßen

Auch wenn mir meine Aachen-Hymne mit dem Gewinn des Chartbreaker-Wettbewerbs im Jahr 2006 meinen bislang größten öffentlichen Erfolg beschert hat, staune ich manchmal schon darüber, wie fest sie sich in den karnevalistischen Playlists der Aachener Region etablieren konnte. Obwohl ich das Lied selbst in all den Jahren eigentlich kaum beachtet habe, gab es immer wieder Anfragen, wo es erhältlich sei oder ob man es covern dürfe. Erst vor einem Jahr nahm der Kammerchor des Geilenkirchener Gymnasiums St. Ursula mit „Aix-la-la-Chapelle“ als einem von zwei Titeln am Schulchorwettbewerb des WDR teil und erreichte damit das Finale.
Dass das Lied ganz ohne mein Zutun seinen Weg ging, wurde mir besonders bewusst, als ich es vor einigen Jahren als „Lied über unsere Kaiserstadt Aachen“ bei YouTube entdeckte – ohne Angabe von Titel und Sänger. Und vor allem: ganz ohne Bild. Inzwischen ist diese frühe Demo-Version meines Songs fast 37.000 Mal angeklickt worden.
Wer sich als Neuankömmling in Aachen orientieren und die Stadt kennenlernen möchte, wird in dem wunderbar unkonventionellen Stadtführer „Endlich Aachen!“ (2013) aus dem Freiburger rap-Verlag auf „Aix-la-la-Chapelle“ aufmerksam gemacht. Und es ist tatsächlich das einzige Lied, das unter der Rubrik „Aachen, wie es singt“ vorgestellt wird. Mein Lied sei „beinahe eine Liebeserklärung“, heißt es da. Stimmt! Aber nur beinah, denn es ist eine Liebeserklärung.
Den entscheidenden Schub bekam das Lied aber wohl dadurch, dass der Aachener Karnevalsprinz der Session 2017/18, Thomas III., „Aix-la-la-Chapelle“ im Kölner Studio „Tonbauhütte“ von meinem Freund Simon neu produzieren ließ, es in sein musikalisches Repertoire aufnahm und damit durch die Säle und Straßen zog. Und weil es beim Publikum bestens ankam, wurde auch ein professionelles Video dazu produziert, das auf zwei YouTube-Kanälen zu sehen ist. Allein dieses Video wurde – beide Kanäle zusammengerechnet – bereits knapp 43.000 Mal angesehen.
Aktuell sorgt die vor zwei Jahren gegründete Formation „Tästbild“ dafür, dass die Menschen der Region weiterhin zu „Aix-la-la-Chapelle“ feiern können. Das sympathische Trio hat meinen Song von dem Aachener Produzenten Jochen Baltes ein weiteres Mal neu arrangieren lassen und wird mit seiner neuen Party-Fassung in der bevorstehenden Session bei zahlreichen Auftritten für Stimmung sorgen.
Vielleicht sollte ich das Lied ja auch noch mal spielen …

Seitenwechsel

Da ist sie also, meine neue Website! Und dass mein Sohn Constantin sie für mich entworfen, gestaltet und programmiert hat, macht sie für mich natürlich sehr besonders! Manches hat sich im Vergleich zur Vorgänger-Seite geändert: die Domain, das Design, die Struktur und zum Teil auch die Inhalte. Manches ist aber auch bewusst an die alte Seite angelehnt, die mir und meiner Musik so hervorragende Dienste geleistet hat. Ein ganz herzliches Dankeschön geht daher nach Bonn an David Muschiol, der die erste Website – damals noch gemeinsam mit Felix Kett – für mich erstellt und sie dreizehn Jahre lang mit viel Liebe, Sachverstand und Kreativität gepflegt und weiterentwickelt hat. Vielen lieben Dank, David!
Bleibt mir nur zu hoffen, dass die neue Seite genauso gut aufgenommen und genutzt wird. Viel Spaß dabei! Euer Christoph