Steht eigentlich irgendwo geschrieben, dass man auf der eigenen Website nur über sich selbst schreiben darf? Nicht dass ich wüsste! Also habe ich mir überlegt, euch hin und wieder von meinen Konzertbesuchen zu berichten. Ich bin nämlich fast so gerne Zuhörer im Saal wie Akteur auf der Bühne. Besonders gerne höre ich mir Bands oder Sängerinnen und Sänger an, die nicht oder noch nicht ganz so bekannt sind und eher in kleineren Locations auftreten. Im letzten Jahr war ich zum Bespiel bei Marcel Brell im „Blue Shell“ oder bei Felix Meyer im „Artheater“ in Köln. Beide waren großartig.
Am vergangenen Donnerstag gastierte Heinz Rudolf Kunze im Palladium. Okay, der zählt nun schon lange nicht mehr zu denen, die noch nicht ganz so bekannt sind. Im Gegenteil: Er zählt zu denen, die völlig zu Recht zu Ikonen deutschsprachiger Musik geworden sind. Das ist – wenn man so will – die zweite Kategorie von Konzertbesuchen, die mich interessiert. Und dann kann ich ziemlich hartnäckig sein, über Jahrzehnte jedes Album kaufen und kaum eine Tour verpassen. Mein erstes HRK-Konzert, das heute vielen als eines seiner besten überhaupt gilt, habe ich vor achtundzwanzig Jahren erlebt. Auf der anderen Straßenseite. Im E-Werk. Da war ich schon lange Fan.
Obwohl Kunze seit damals im Grunde immer auf meinem Radar geblieben ist, hatte ich den Termin diesmal irgendwie nicht auf dem Schirm. Und so wäre ich gewiss auch nicht dabei gewesen, hätte sich mein Kölner Freund Peter, mit dem ich seit der „Draufgänger-Tour“ von 1993 schon manches Kunze-Konzert gemeinsam besucht habe, nicht ein paar Tage vor dem Konzert bei mir gemeldet: Jemand hatte kurzfristig abgesagt und ihm seine Karte überlassen. Schöne Grüße vom Schicksal.
Als wollte Kunze es mit zweiundsechzig Jahren noch einmal richtig krachen lassen, war diesmal alles eine Nummer größer als in den vergangenen Jahren: Palladium statt Gloria, Videoprojektionen auf vier Leinwänden statt „einfachem“ Bühnenlicht und – zusätzlich zu der fünfköpfigen und wie immer hochkarätigen „Verstärkung“ – zwei Background-Sängerinnen. Eine der beiden, Jördis Tielsch, durfte etwa in der Mitte des Programms mit „Bühne deines Lebens“ sogar ein eigenes Lied performen, was ich bei einem Kunze-Konzert auch noch nicht erlebt habe. Dafür gab es reichlich Applaus. Völlig zu Recht, wie ich fand.
Die Bühne dieses Abends gehörte allerdings zweifellos dem Altmeister. Und der war sichtlich gut gelaunt, voller Spielfreude und zog alle Register seines Könnens. Wenn Kunze das Leben auf Tour im Refrain des Openers „Raus auf die Straße“ lapidar mit „Das muss Liebe sein“ kommentiert, dann lieferte das dreistündige Konzert im Palladium dafür einen eindrucksvollen Beweis. Bestimmten zu Beginn die Songs des aktuellen Albums „Schöne Grüße vom Schicksal“ die Setlist, mischten sich im Laufe des Abends immer mehr ältere Nummern und mit „Das Ultimatum“ sogar ein Song vom 1982er Album ins Programm. Insgesamt eine tolle Songauswahl, wobei Kunze für meinen Geschmack allzu sehr auf seine Hits vertraute. Lieder wie „Mit Leib und Seele“, „Meine eigenen Wege“, Leg nicht auf“ oder „Dein ist mein ganzes Herz“ sind sicherlich Meisterwerke und Garanten für viel Applaus, müssen aber nicht immer sämtlich bei jeder Tournee gespielt werden, meine ich. Stattdessen hätte ich mir die eine oder andere Überraschung gewünscht. Verschüttete Perlen gibt es bei inzwischen sechsunddreißig Studioalben ja mehr als genug.
Dafür freute ich mich umso mehr, dass neben der obligatorischen Mitsinghymne „Wenn du nicht wiederkommst“ mit „Der Abend vor dem Morgen danach“ auch ein Song vom 1991er Album „Brille“ gespielt wurde. Und zwar in einer besonders schönen Version mit einem Fiddle-Intro von Jördis Tielsch, die – wie man hörte – nicht nur singen kann. Meine Hoffnung, dass es auch mein Kunze-Favorit „Stirnenfuß“ in die Setlist geschafft haben könnte, erfüllte sich aber leider nicht. Auch wenn mir der Albumtitel bei seinem Erscheinen seinerzeit durchaus einen Schreck eingejagt hatte – ich hatte doch erst zwei Jahre vorher eine Brille für titeltauglich befunden und fand das ziemlich originell –, ist „Brille“ bis heute meine Lieblingsplatte von HRK geblieben. Und außerdem ist Kunzes Wayfarer von einer Nickelbrille ja auch meilenweit entfernt.
Freunde skurriler Texte à la „Stirnenfuß“ durften sich über „Finderlohn“ oder „Schorsch genannt die Schere“ freuen. Daneben kamen sie natürlich bei Kunzes wunderbar bizarren Zwischentexten auf ihre Kosten. Mein Freund Peter, der selbst mit Sprechtexten auf der Bühne steht, meinte dazu, Kunze sei ja eigentlich der Erfinder der Slam-Poetry. Stimmt vermutlich, denn zumindest im deutschsprachigen Raum gab es in den achtziger Jahren noch keine Poetry-Slams. Aber Kunzes Wortkunst gab es da schon auf den Bühnen der Republik. Vielleicht weil er immer schon textliche Einfälle hatte, die das Format des Pop- oder Rocksongs sprengten. Und das will etwas heißen bei einem, der die Grenzen dieser Kunstform wie kaum ein Zweiter ausgelotet hat.
Wahrscheinlich ist es das, was mich immer schon an Heinz Rudolf Kunze fasziniert hat. Diese Kombination aus Lyrik und Rock, Intellekt und Bauchgefühl, Herz und Verstand. Und darin ist er tatsächlich „besser, viel besser als der Rest“. Nicht zuletzt an dem minutenlangen Beifall für das wunderschön arrangierte „Aller Herren Länder“, das heute aktueller scheint denn je, konnte man deutlich spüren, wie sehr er den Nerv der Zeit trifft und seinem Publikum aus der Seele spricht. Für mich immer noch eine Quelle der Inspiration für die Arbeit an meinen Liedern.
Aber ich wollte ja nicht über mich schreiben.