So Quiet in Here

Zum Tod von Jörg Maidorn

Fotos: Grattan Healy, 1994

Mit großer Bestürzung habe ich von deinem Tod erfahren, lieber Jörg! Wir hatten uns – warum auch immer – zwar aus den Augen, nicht aber aus den Gedanken verloren. Dafür warst du in der hiesigen Musikszene auch viel zu präsent und bekannt. Und mit deiner Pink Noise Corporation warst du weit über Aachen hinaus gefragt, wenn es um höchste Ansprüche an Veranstaltungstechnik und Sound ging.  Deiner Firmenwebsite kann man entnehmen, mit wem du so alles zusammengearbeitet hast. Götz Alsmann, Max Raabe und viele andere Stars wussten offenbar, wem sie die Tontechnik anvertrauen konnten.

Auch wenn du schon damals, Mitte der Neunzigerjahre, mit deiner Firma durchstartetest, habe ich in dir immer den Gitarristen Jörg gesehen. Wir spielten beide in zu dieser Zeit in unserer Region beliebten Coverbands, du bei Dolce Vita, ich bei Da capo. Weil wir offenbar nicht ganz unähnliche Typen waren – eher klein, dunkle Haare, markante Brille –, kam es nicht selten zu Verwechslungen. Man wollte mich an Orten gesehen beziehungsweise gehört haben, an denen ich zur fraglichen Zeit definitiv nicht gewesen war. Und genauso ging es dir. „Ich war das nicht, aber ich weiß, wen du gesehen hast“, konnten wir schließlich ohne jede Überlegung aufklären. Ich fühlte mich dann immer ein bisschen geschmeichelt, denn an der Gitarre konnte ich dir nicht das Wasser reichen.

Als ich dich zum ersten Mal hörte, irgendwann nach Mitternacht bei einer Zeltveranstaltung, war ich hin und weg. Der da über die Tanzfläche lief und scheinbar ohne jede Mühe, die Gitarre hinterm Kopf, ein endloses Solo spielte und die Leute begeisterte, war ein Meister seines Fachs. Dabei schlug dein Herz eigentlich für den Jazz und für deine George-Benson-Gitarre mit ihrem wunderbar vollen, warmen Klang. Ich hätte dir stundenlang zuhören können, wenn du darauf improvisiertest, und wollte dich unbedingt für meine eigene Musik, meine eigene Band gewinnen.

Und das gelang schließlich auch, nicht zuletzt wegen deiner Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft: Irgendwann – es muss 1993 gewesen sein – stelltest du uns deine für unsere Verhältnisse unfassbar professionelle 8-Spur-Bandmaschine für Aufnahmen zur Verfügung und kümmertest dich um den Mix. Wenig später mischtest du dann auch als Gitarrist in unserer Band mit und hobst unsere Musik auf ein neues Niveau. Auch einen meiner Songtexte, „Lebensläufer“, hast du mit viel Gefühl für meine sprachlichen Bilder vertont.

Für den Aachen-Sampler „Tomorrow’s Finest II“ produziertest du eine Auswahl unserer Songs – nicht ohne zuvor die Räumlichkeiten deiner Firma eigens zu diesem Zweck in ein Studio mit Aufnahme- und Regieraum verwandelt zu haben. Wochenlang haben wir beide – mit Unterstützung von Harry, Torben und Bernd – dort aufgenommen und abgehört, verworfen, neu eingespielt, an den Arrangements gefeilt und an den Reglern gedreht. Und das zu jeder möglichen und unmöglichen Zeit. So lange jedenfalls, bis das Ergebnis für dich „amtlich“ war. Ich erinnere mich, dass wir den Chorgesang zu „Abend im Land“ tatsächlich nachts eingesungen haben. Auch Gastsängerin Tanja war bis in die frühen Morgenstunden mit von der Partie. Ein Kasten „Frisches Veltins“ stand auch immer parat.

Auch auf der Bühne warst du eine großartige Bereicherung für meine Songs. Ob wir mit kompletter Band den Jazz-Saal Houben rockten oder in kleinerer Akustik-Besetzung auftraten: Mit dir an der Gitarre konnten wir uns in die Lieder regelrecht fallen lassen. Ich habe es geliebt, mit dir aufzutreten. Genauso habe ich es genossen, mit dir über Gott und die Welt zu reden. Oft haben wir in deiner Wohnung mit dem riesigen schwarz-weißen Miles-Davis-Poster einfach auf dem Boden gesessen und deine CD-Sammlung durchgehört. Incognito, Young Disciples, The Brand New Heavies, Jamiroquai – aber auch Hubert von Goisern und ganz viel Van Morrison, vor allem „A Night in San Francisco“, das Doppel-Live-Album von 1994. „So Quiet in Here“, sang Van the Man. Unglaublich, wie der Stille in Musik verwandeln konnte – oder umgekehrt. This must be what it’s all about.

Und wir mochten Herman van Veen! Über seinen mit holländischem Akzent und ohne jede Ironie gesungenen Vers „Cola, Limo, Apfelsaft“ aus „Könntest du zaubern“ konntest du Tränen lachen. Er wurde für uns zu einem geflügelten Wort. Als wir uns Jahre später noch einmal trafen, erzähltest du mir, dass du Herman van Veen inzwischen persönlich kennengelernt und schon mehrere Veranstaltungen mit ihm gemacht hattest. Wahnsinn.

Über die gemeinsame Leidenschaft für die Musik waren wir längst Freunde geworden. Einmal fuhren wir mit dem Wohnmobil deines Bruders ans Meer. Die Idee dazu kam dir am Abend vorher im „Perplex“, der Kneipe, in der immer etwas los war, wenn sonst nichts los war. Und das war in unserer Stadt oft der Fall. Im Gepäck hatten wir Fahrräder, Romane, Fachzeitschriften und zwei Konzertgitarren. Du zeigtest mir für mich neue Skalen, Tonleitern, verschiebbare offene Akkorde und Fingerübungen, die ich noch heute zum Warmspielen mache. Nur die niederländische Polizei, die uns auf der Rückfahrt anhielt, schien nicht recht an unsere musikalische Mission glauben zu wollen, als sie unsere Gitarrenkoffer durchsuchte. Cola, Limo, Apfelsaft – sonst nichts. Du nahmst das mit dem für dich typischen Humor, eigentlich immer ein Lächeln in den Augen.

Je länger ich an diese Jahre Anfang der Neunzigerjahre zurückdenke, desto mehr gemeinsame Erlebnisse, Gespräche und Situationen tauchen aus meiner Erinnerung auf. Auch etwas Handfestes erinnert mich an dich: meine Hamer Centaura, eine bei Sammlern inzwischen sehr gefragte und teuer gehandelte E-Gitarre. Eigentlich war ich drauf und dran, sie zu verkaufen, zumal ich fast nur noch akustische Gitarre spiele. Ich habe es mir aber anders überlegt. Denn du hast sie für mich ausgesucht – in einem Musikladen in Köln. Unzählige Gitarren hast du damals gecheckt, um die für mich passende zu finden. Und so kann ich meiner Hamer vielleicht hin und wieder noch ein paar interessante Akkorde entlocken, die dir gefallen hätten. Sam Cooke‘s saying: Let the good times roll. Danke für alles, Jörg. Wir sehen uns.

Lebensläufer (Text: Christoph Birken, Musik: Jörg Maidorn)