Album: Innenansichten (1991)
Wisst ihr, dass es nicht drei, sondern vier Könige war’n,
Die sich damals aufmachten, vor fast zweitausend Jahr’n,
Um den König der Menschen anzubeten, und um ihn So reichlich zu beschenken, wie ein König es verdient?
Auf vier verschied’nen Wegen kamen sie und trafen sich
Und folgten dann gemeinsam dem geheimnisvollen Licht.
Mit Gold, Weihrauch und Myrrhe zogen – wie man weiß – die Drei,
Und der junge vierte König hatte drei Edelsteine dabei.
So folgten sie dem Stern und kannten weder Tag noch Nacht.
Ihr Wunsch, das Kind zu seh’n, hatte sie taub und blind gemacht.
Sie sahen nichts am Wegesrand, sie suchten ja nur ihn,
Den König, dessen Stern am Himmel deutlich für sie schien.
Der junge König ritt zuletzt und träumte seinen Traum,
Da hörte er ein Schluchzen, traute seinen Augen kaum:
Im Staub sah er ein Kind, das nackt und hilflos vor ihm lag;
Er nahm es, ritt ins Dorf zurück – wieder endete ein Tag.
Der König kam ins Dorf, doch keinem war das Kind bekannt;
Er hatte Glück, dass er bald eine gütige Frau fand,
Die es gleich bei sich aufnahm, und er schenkte obendrein
Dem Kind fürs Leben einen unschätzbaren Edelstein.
Doch dann trieb es ihn weiter, und nun suchte er allein
Den Weg, denn die Gefährten mochten längst woanders sein.
Er suchte tagelang, und plötzlich sah er schon von fern
Am Himmel einen hellen Schein, seinen Wegweiser, den Stern.
Er kam durch eine Stadt, vorbei an einem Leichenzug,
Erfuhr sogleich, dass man hier einen Mann zu Grabe trug,
Der seine Schulden nicht bezahlen konnte, wie es hieß,
Und der nun seine Frau und seine Kinder hinterließ.
Der König sah der Mutter in die Augen, sah ihr Leid,
Sah ihre Trauer, ihren Schmerz und die Trostlosigkeit.
Denn nun, da sie so mittellos und ausgeliefert war,
Standen neben den Gläubigern auch schon die Sklavenhändler da.
Sofort begriff der König die schlimme Situation.
Die Kinder klammerten sich fest, da hatte er auch schon
Den Gürtel mit den beiden Edelsteinen losgemacht;
Nun, eigentlich war’n alle für das Königskind gedacht.
Voll Mitleid schenkte er dann auch der Witwe einen Stein
Und sagte: „Mögen eure Sorgen bald vergessen sein!“
Er schwang sich auf sein Pferd, er musste ja wieder fort,
Blickte empor zum Himmel, doch der Stern war nicht mehr dort.
Er suchte wochenlang, hatte fast keine Hoffnung mehr;
Je länger er umherritt, desto trauriger wurd’ er.
Dann, eines Tages, leuchtete sein Licht ihm wieder hell,
Mit neuer Kraft und frohem Herzen folgte er ihm schnell.
So kam er in ein fremdes Land, doch wieder schwand sein Mut:
Verwüstet war’n die Dörfer, die Erde getränkt mit Blut.
Soldaten schritten durch den Sand und sangen laut vom Sieg
Und hinterließen Spuren von Terror, Leid und Krieg.
Dann kam er in ein Dorf, das kurz vor der Vernichtung stand,
Die Frauen nahmen ihre Kinder weinend bei der Hand,
Denn auf dem Marktplatz warteten die Männer auf den Tod;
Nein, nie zuvor im Leben sah der König solche Not.
Wie konnte er die Bauern nur von ihrem Los befrei’n?
Natürlich, ja natürlich: Er hatte doch noch einen Stein!
Mit zitternder Hand gab er ihn dem Hauptmann, der darauf
Mit seinen Leuten abzog – das Dorf war freigekauft.
Wie sollte er jetzt vor dem Menschenkönig noch erschein’n?
Er wusste keinen Rat, war müde, fühlte sich allein.
So zog er weiter, voller Zweifel – und die Taschen leer,
Doch schlimmer noch als all das: Der Stern schien ihm nicht mehr.
Er gab die Suche niemals auf, und so verging die Zeit,
Und immer wieder half der König Menschen in ihrem Leid.
Nein, seine Hilfe hatte er noch niemandem verwehrt,
Und als er selbst nichts mehr besaß, verschenkte er sein Pferd.
Im Hafen einer großen Stadt sah er an einem Tag,
Dass dort ein Sträflingsschiff, eine Galeere lag.
Grad’ wurde von den Aufsehern ein Mann von kleiner Gestalt
Seiner Familie einfach entrissen mit Gewalt.
Dem König lief es kalt über den Rücken, sodass er
Die Aufseher anflehte, doch das alles half nichts mehr.
Und dann bot sich der König schließlich selbst als Sklaven an,
Opferte seine Freiheit für einen unbekannten Mann.
Im Takt der Trommelschläge ruderte er Jahr um Jahr,
Der König, der in Ketten lag und doch ein ein König war.
Hart und unbarmherzig nahm das Schicksal seinen Lauf,
Doch eines Tages leuchtete der Stern tief in ihm auf.
Das gab ihm die Gewissheit, auf dem richt’gen Weg zu sein;
War’n seine Qual’n auch groß, seine Sorgen waren klein.
Und was er nie geglaubt hatte, wurd’ plötzlich Wirklichkeit:
Bei armen Fischern fand er eine Bleibe für die Nacht.
Was hatten ihm die vielen Jahre eigentlich gebracht?
Wohl nur das graue Haar und vielleicht einen guten Kern;
So schlief er ein, und dann sah er im Traum wieder den Stern.
Er hörte eine Stimme, die ihm zurief: „Eile dich!“
Er stürmte auf die Straße, und nun träumte er nicht:
Die Nacht war hell erleuchtet, denn der Stern war wieder dort.
Wohin würd’ er ihn führen, in welches Land, an welchen Ort?
Er kam in eine Stadt, die Menschen war’n sehr aufgeregt,
Sie zogen vor die Mauern, diskutierten unentwegt.
Er schloss sich ihnen an und konnte jetzt drei Kreuze seh’n;
Der Stern blieb – wie man sah – über dem in der Mitte steh’n.
Und da traf ihn der Blick des Menschen, der da am Pfahl hing,
Das musste jener sein, für den er durch die Hölle ging!
Und als er unterm Kreuz erschöpft und froh zu Boden fiel,
Erlosch der Stern ganz leise – der König war am Ziel.