Stolz über Kopf

Album: Lauter leise Lieder

Noch nie geseh’n, schienen wir uns zu kennen,
So wie Geschwister, die sich endlich finden.
Die hohlste Floskel schien uns zu verbinden
Und Unbenanntes heimlich zu benennen.
Du stelltest mir meine eigenen Fragen,
Während ich glaubte, deine zu erahnen.
Es war, als trügen wir auf unseren Fahnen
Dasselbe Wappen seit uralten Tagen.

Wie blicktest du so tief in meine Seele,
Souffliertest mir meine vergess’ne Rolle:
Wofür ich doch weiß Gott dankbar sein solle
Und auch, was mir wohl leider Gottes fehle.
In deinen Briefen gab es keine Schranken,
Und nach dem letzten Satz kam noch ein letzter,
Langsam wurd’ aus dem Leser ein Gehetzter
Von unbedachten denkbaren Gedanken.

Und mitten im Gedränge von Gefühlen
Stand ich auf einmal vor verschloss’nen Toren,
Fand keinen Platz, nicht mal zwischen den Stühlen,
Stolz über Kopf hatte ich dich verloren.

Wir spürten, dass wir viele Seiten teilen,
Und Worte waren mehr als bloße Zeichen,
Die nur bedingt dem Unbedingten gleichen.
Problemlos last du zwischen meinen Zeilen.
Erschreckt suchte ich bald nach einem Riegel,
Sperrte dich aus, als wärst du nie gewesen,
Doch selbst durch Türen konntest du mich lesen,
Als hättest du den wunderbaren Spiegel.

Und mitten im Gedränge von Gefühlen
Stand ich auf einmal vor verschloss’nen Toren,
Fand keinen Platz, nicht mal zwischen den Stühlen,
Stolz über Kopf hatte ich dich verloren.

Dann warst du’s leid, weiter nach mir zu rufen,
Denn ich blieb stumm, ich wollte dich nicht hören.
Du solltest nie mehr meine Ruhe stören,
Elfenbeintürme haben keine Stufen!
Jedoch: Das war nicht, was ich wirklich wollte,
Geschwister trifft man doch nicht alle Tage!
Es ist zwar nur ein Anfang, doch ich sage
Dir ein beschämtes „Man sollte …“

Und mitten im Gedränge von Gefühlen
Stand ich auf einmal vor verschloss’nen Toren,
Fand keinen Platz, nicht mal zwischen den Stühlen,
Stolz über Kopf hatte ich dich verloren.