Die Angst vor dem letzten Mal

Album: Schritte (2005)

Die letzten Sonnenstrahlen fallen in den Garten
und malen Umrisse von Engeln an die Wand.
Ich lasse meine Mutter noch ein bisschen warten,
denn ich spiel’ viel zu gern in Tante Gertruds Sand.

Die alte Dame kann die Welt nicht mehr begreifen,
und sie braucht ab und zu eine helfende Hand.
Dann sitz’ ich hier in diesem großen Traktorreifen
und löffle mich von einem an den andern Rand.

Nein, sie spricht nicht viel, das war nie ihre Sache,
ihr Haar ist weiß wie Schnee, die Schürze war mal bunt.
Ich weiß, wenn ich jetzt freundlich zu ihr rüberlache,
lacht sie zurück und hat nicht einen Zahn im Mund.

Und als ahnte ich, da schließt sich eine Türe,
fall‘ ich aus heitrem Himmel in das tiefste Tal.
Was ich da dunkel und bedrückend in mir spüre,
ist wohl die Angst vor dem letzten Mal,
die Angst vor dem letzten Mal.

Das sind die letzten Tage vor den großen Ferien,
in unsrer Klasse wird es ungewöhnlich still.
Die Stunden gehn dahin so wie Vorabendserien,
die man nicht liebt und trotzdem nicht verpassen will.

Vier Jahre jeden Tag in diesem Klassenzimmer,
vier Jahre lesen, schreiben, rechnen – Tag für Tag.
Wie oft wohl glaubte ich, ich bliebe hier für immer
und auch, dass ich einige Typen gar nicht mag.

Und jetzt sind es plötzlich nur noch ein paar Tage
mit diesen Leuten und mit unsrer Lehrerin.
Und alle Fragen werden mir zu einer Frage:
Warum fiel mir nie auf, dass ich hier glücklich bin?

Und als ahnte ich, da schließt sich eine Türe,
fall‘ ich aus heitrem Himmel in das tiefste Tal.
Was ich da dunkel und bedrückend in mir spüre,
ist wohl die Angst vor dem letzten Mal,
die Angst vor dem letzten Mal.

Ein Sonntagabend – niemand wartet an Gleis sieben;
kaum jemand, der jetzt noch die Stadt verlassen will.
Ich bin nur einer unter andren Tagedieben.
Es ist noch kalt hier draußen, es ist erst April.

Und ich sitze hier auf meiner Reisetasche,
dicke Bücher und Klamotten im Gepäck
und eine heimlich abgestaubte Whiskeyflasche.
Die machen meine Freunde heut’ bestimmt noch weg.

Das Semester hat doch grad erst angefangen
und die Prüfungen sind noch so lange hin.
Wie freu ich mich auf unsre nächtlichen und langen
Diskussionen über Gott und Welt und Sinn.

Und als ahnte ich, da schließt sich eine Türe,
fall‘ ich aus heitrem Himmel in das tiefste Tal.
Was ich da dunkel und bedrückend in mir spüre,
ist wohl die Angst vor dem letzten Mal,
die Angst vor dem letzten Mal.

Und auf einmal sind es schon so viele Jahre,
dass wir zusammen sind. Das kann doch gar nicht sein!
Wo ich doch täglich Neues über dich erfahre.
Ich schreibe mich doch grad erst in dein Leben ein.

Ich weiß, wir werden noch so viele Dinge finden,
Es hat doch alles seine Stunde, seine Zeit,
und doch vergehn wir wie ein Rauch von starken Winden,
und alle Zeit der Welt ist keine Ewigkeit.

Lass uns heute noch auf allen Festen tanzen,
nicht auf morgen warten, nicht auf irgendwann,
uns nicht einrichten im Großen und im Ganzen,
denn so fangen alle halben Sachen an.

Und als ahnte ich, da schließt sich eine Türe,
fall‘ ich aus heitrem Himmel in das tiefste Tal.
Was ich da dunkel und bedrückend in mir spüre,
ist wohl die Angst vor dem letzten Mal,
die Angst vor dem letzten Mal.
Ich fall‘ aus heitrem Himmel in das tiefste Tal.
Was ich da dunkel und bedrückend in mir spüre,
ist wohl die Angst vor dem letzten Mal,
die Angst vor dem letzten Mal.